Osman Yousufis Begegnung mit der deutschen Sprache war zu Beginn etwas steif. Doch sein Sprachlehrer im Integrationskurs motivierte ihn. Und spätestens als Yousufi ein Gedicht seiner Frau Lina Atfah ins Deutsche übersetzte, wurde ihm klar, dass er sich in der neuen Sprache längst auf unbekannte Art heimisch fühlte.
Von Osman Yousufi, 07.01.2019„Qamus“ ist ein arabisches Wort mit griechischen Wurzeln. Es bedeutet „Ozean“ oder „großes Meer“. Eines der berühmtesten arabischen Wörterbücher, das vor mehr als sechshundert Jahren erschien, trug den Titel „Al-Qamus“. Dieses Buch fand eine so weite Verbreitung, dass „Al-Qamus“ irgendwann zum Synonym für „Wörterbuch“ wurde. Vielleicht ist das der Grund, warum ich immer glaube, von einem Meer ins andere zu schwimmen, wenn ich mich zwischen dem Arabischen und dem Deutschen hin und her bewege. Eines der beiden Meere, das arabische, ist mir sehr vertraut; in seinem Wasser bin ich lange Zeit geschwommen, habe es bereits einige Mal überlebt. Das andere, das deutsche, ist mir immer noch fremd. Ich empfinde es als kühl und habe mich noch nicht an seinen Salzgehalt gewöhnt. Es bleibt voller Überraschungen für mich. Ich kann seinen Wellengang noch nicht gut lesen, doch sein Wind war bisher meist freundlich zu mir. Und ich will mich immer öfter darin bewegen.
Meine erste Begegnung mit der neuen Sprache war vor drei Jahren, in einem Integrationskurs, den ich besuchen musste. Unsere Beziehung begann also eher formell, sie war von Ämtern bestimmt. Es war eine spontane Begegnung, denn ich lernte nur deshalb Deutsch, weil ich aus Syrien hatte fliehen müssen. Dennoch war der Integrationskurs ein Glück: Unser ägyptischer Lehrer zeigte mir, wie schön und facettenreich das Deutsche sein konnte. Danach entschied ich mich sogar aus freien Stücken, einen Sprachkurs an der Ruhr Universität Bochum zu machen. Ich wollte mein Deutsch verbessern und mein Physikstudium fortsetzen. Doch obwohl ich den Sprachtest bestand und mich für die Universität qualifizierte, bekam ich keine Zulassung. Ich versuchte es noch einmal: neues Programm, neuer Sprachkurs, neuer Test – diesmal auch eine Zulassung. Doch dann änderten sich die Gesetze der Hochschule plötzlich, und ich durfte doch keinen Master machen. Trotzdem wurde in dieser Zeit, ohne dass ich es wirklich merkte, meine Beziehung zur neuen Sprache, meinem zweiten Meer, wärmer, interessanter und direkter.
So richtig angebissen habe ich aber erst, als ich ein Gedicht meiner Frau Lina Atfah las, das vom Arabischen ins Deutsche übersetzt worden war. Als ich die Zeilen sah, hatte ich das Gefühl, einen kleinen Schatz gefunden zu haben. Es war wunderschön, die beiden Sprachen stundenland zu vergleichen, aber dieser Text war auch ein Schock für mich. Plötzlich fühlte ich mich, als hätte ich noch nichts gelernt. Mit literarischen Feinheiten hatte ich mich bis dahin nicht beschäftigt.
Von da an wartete ich sehnsüchtig auf die nächsten Übersetzungen von Linas Gedichten. Überhaupt genieße ich es sehr, sie zu beobachten, während sie ein Gedicht aus dem Nichts erschafft, wie sie dem Text Fleisch, Blut und ein Herz schenkt, das den Rhythmus ihrer Stimmung schlägt. Das Zusammenleben mit einer Schriftstellerin stellt eine besondere Beziehung zwischen mir, der Sprache und dem Schreiben her. Wir können unterschiedliche Meinungen haben, unsere Diskussionen manchmal auch hart werden, aber immer habe ich dabei das Bild vor Augen, wie sie den Stift in der Hand hält und den Papieren etwas einschreibt, das bleibt – ein bisschen wie eine Tattookünstlerin vielleicht.
Der erste ernste Schritt für mein eigenes Schreiben auf Deutsch war nicht geplant. Lina arbeitete an einem neuen Text für das Projekt „Weiter Schreiben“ und war sich nicht sicher, ob er passt oder nicht. Also übersetzte ich das Gedicht ins Deutsche und schickte es los. Die künstlerische Leiterin des Projekts fand es spannend, etwas Neues auszuprobieren, und so arbeiteten wir zu dritt viele Stunden über Skype an der Übersetzung, bis wir alle drei zufrieden waren. Das war eine ganz neue Erfahrung für mich. Am Ende wurde der Text mit dem Titel „In meiner Hand erblühte“ veröffentlicht, und ich fand meinen Namen zwischen den Übersetzern von Weiter Schreiben, was ein sehr schönes Gefühl war. Durch den langen Entstehungsprozess des Textes entdeckte ich beispielsweise, dass etwas, das auf Arabisch vollkommen logisch klingt, auf Deutsch bedeutungslos sein kann. Ich erfuhr, wie eine deutsche Autorin denkt, wie deutsche Leser*innen denken, und entdeckte dabei einen fundamentalen Unterschied zwischen dem arabischen und dem deutschen Schreiben: Arabische Autor*innen versuchen fast immer, möglichst alles zu sagen. Sie weisen ihren Leser*innen den Weg und wiederholen viel, um Sicherheit innerhalb des Textes zu schaffen. Dagegen geben deutsche Autor*innen den Leser*innen viel größeren Freiraum, auch größere Selbstverantwortung mit dem Text. Sie verdichten, während ein arabisches Gedicht vor allem nach Intensität sucht.
Wann genau mein Wunsch entstand, auf Deutsch zu schreiben, weiß ich nicht mehr, aber an das Gefühl erinnere ich mich noch: Ich fühlte mich wie ein Kind, das ein neues Spielzeug entdeckt. Ich hatte keine Ahnung, wie es genau funktionieren sollte, aber ich war neugierig darauf, was ich auf Deutsch sagen wollte. Wenn mich heute Freund*innen fragen, warum ich auf Deutsch und nicht mehr auf Arabisch schreibe, kann ich es nicht genau beantworten. Vielleicht hat es damit zu tun, dass ich mich mit meinen Schreibanfängen hier sicherer fühle als in der arabischen Welt. Vielleicht steckt darin auch eine sprachliche Flucht. Wenn ich auf Arabisch schreibe, fühle ich mich erstickt und gefangen, ich kann nicht alles sagen, was ich will, finde nicht die Worte, die ich finden will. Dass ich in meiner neuen Sprache schreiben will und nicht auf Arabisch, zeigt mir, wie tief mein persönlicher Verlust wirklich ist. Oder geht es am Ende doch nur darum, dass meine Anfängerfehler im Deutschen weniger ins Gewicht fallen?
Auf jeden Fall frage ich mich, warum ich nach so langer Zeit des Lernens damit zufrieden sein soll, mich auf Deutsch nur zurechtzufinden. Warum soll ich nicht versuchen, mich auch wirklich auszudrücken? Das Sprachgefühl bleibt dabei die größte Herausforderung, das kann keine Schule lehren. Ich frage mich, wie ich je einschätzen können werde, was auf Deutsch komisch oder gerade besonders gut klingt. Und genau daran arbeite ich jetzt. Übung macht den Meister, sagt man doch hier in Deutschland. Also übe ich weiter mit den Gedichten meiner Frau Lina. Neulich durfte ich mehrere Rohübersetzungen für ihren ersten Gedichtband, der dieses Jahr in Deutschland erscheint, erstellen. Und ich schreibe nun meine ersten eigenen Gedichte auf Deutsch: Ich klinge anders, als ich dachte.
Der Wein
Ein scheuer Gast
der sachte klopft
du bittest ihn herein
er verharrt an der Schwelle.
Ihr unterhaltet euch über das Wetter
er errötet
du näherst dich ihm
er geht langsam Richtung Küche
setzt sich aber nicht
du überredest ihn
zögerlich zieht er seine Jacke aus
dann die Schuhe
das Hemd
die Socken
die Hose
die Brille
die Wäsche.
Er bittet um Wasser
er trinkt
schwitzt
atmet aus
und bricht zusammen.
Auf dem Boden zwischen Küche und Tür
schläft er bis in den Morgen.
Der Wodka
Ein freches Kind
schleicht in der Stille der Nacht an dein Fenster
wirft einen Kieselstein
und rennt weg.
Um dich zu beruhigen
beißt du in eine gesalzene Zitronenscheibe.
Ein zweiter Kieselstein an deinem Fenster
Zitronenscheiben, mehrere, gesalzen
bis du die Geduld verlierst
und auf die Straße rennst.
Zusammen werft ihr einen Stein nach dem anderen.