Illustration: Tuffix (2018)
Illustration: Tuffix (2018)

Der Kampf gegen die Rassistin und Sexistin in meinem Kopf

Von Franziska Niggemann, 24.12.2018

An einem Wochenende im Oktober lerne ich an einem Currywurst-Imbiss zwei Männer in meinem Alter kennen. Currywurst in Berlin – mehr Klischee geht wohl gar nicht. Wir kommen schnell ins Gespräch und reden über Gott und die Welt. Irgendwann erwähnen die beiden Männer nebenbei, dass sie vor drei Jahren als Geflüchtete aus Syrien nach Deutschland gekommen sind. Zack, sofort legt sich in meinem Kopf ein Schalter um. „Wie sind sie wohl nach Deutschland gekommen? Über das Mittelmeer? Waren sie in Syrien für oder gegen Assad? Wie sieht es mit Familiennachzug aus? Und wie läuft eigentlich generell so ein Asylverfahren ab?“ Fragen über Fragen, die ich nicht stelle, weil ich mich dafür schäme. Ich schäme mich, weil nur eine einzige Information ausreicht, um sie auf einen Bruchteil ihrer Persönlichkeit zu reduzieren. Sie hätten mir erzählen können, dass sie momentan ihr erstes Kind erwarten, dass sie gerne Urlaub in Südafrika machen, dass sie Innenarchitektur studieren oder dass sie in ihrer Freizeit in einer Rockband spielen. Nichts von alldem hätte eine solche Reaktion in mir hervorgerufen wie die Tatsache, dass sie aus Syrien geflohen sind. Das ist mir peinlich.

Neuer Tag, neuer Ort, ähnliche Situation. Ich brauche dringend einen neuen Laptop. Also lasse ich mich im Saturn in der Mall of Berlin beraten. Ich finde schnell eine freundliche Mitarbeiterin, die mir auch prompt die besten Modelle zeigt. So richtig zufrieden bin ich mit der Beratung trotzdem nicht. Ich habe das Gefühl, dass sie mir genau das sagt, was ich hören will. Also hole ich eine zweite Meinung ein, dieses Mal von einem männlichen Mitarbeiter. Er ist deutlich kritischer, nimmt sich mehr Zeit und hilft mir, mich am Ende für ein Modell zu entscheiden. Als ich samt neuem Laptop und roten Zahlen auf dem Konto den Laden verlasse, schleicht sich für einen kurzen Augenblick dieser Gedanke in meinen Kopf: „Gut, dass ich nachher noch mal von einem Mann beraten wurde!“ Sofort fangen meine Alarmglocken an zu schrillen. Hallo? Geht‘s noch? Als ob die Beratung vom Geschlecht abhängig wäre. Erfahrung, Fachwissen, Arbeitszeiten und Spaß am Job können Auswirkungen auf die Qualität der Beratung haben, aber doch bitte nicht das Geschlecht.

Ich könnte so viele ähnliche Szenarien nennen: So erwähne ich beispielsweise immer wieder, dass einer meiner besten Freunde Türke ist, obwohl er in Deutschland geboren wurde. Oder: Ich fühle mich an meinen Freiwilligendienst in Togo erinnert, wenn ich People of Color sehe. Ich finde es total bemerkenswert, wenn ein Mann seinen Job aufgibt, damit seine Frau Karriere machen kann. Und für mich ist es ganz normal, dass meine Mutter besser kochen kann als mein Vater. Das Gute ist, dass ich weiß, dass diese Gedanken von Grund auf falsch sind. Das Schlechte ist, dass es auf Dauer ganz schön anstrengend und nervig ist, immer wieder aufs Neue dagegen anzukämpfen. Rechte Populisten würden mich wohl als Prototyp des links-grünversifften Gutmenschen beschreiben. Kneipendiskussionen, warum man nicht einfach alle Flüchtlinge abschieben kann, warum Frauen nicht in die Küche gehören und warum Gauland, Weiland und Co Arschlöcher sind, gehören zu meinem Spezialgebiet. Ich halte immer dagegen. Alles ab CDU ist mir zu weit rechts. Ich besuche Workshops und Themenabende, um zu erfahren, wie man gegen den wachsenden Populismus in unserer Gesellschaft vorgehen kann. Wenn ich eine Heldin benennen müsste, wäre das vermutlich Margarete Stokowski und ihre feministischen Kolumnen. Der Einsatz gegen Rassismus und Sexismus liegt mir am Herzen und trotzdem denke ich manchmal so, wie ich denke. Ich glaube, dass sich kein Mensch komplett frei von Vorurteilen machen kann. Menschen, die das von sich behaupten, halte ich entweder für Lügner*innen oder für Reptiloide. Sexismus und Rassismus sind Haltungen, die seit Jahrhunderten strukturell in unserer Gesellschaft verankert sind. Oft heißt es, dass Rassismus in den letzten drei Jahren wieder besonders stark aufflamme. Ich bin der Meinung, dass er die ganze Zeit in den Köpfen der Menschen war. Was sich verändert hat, ist, dass rassistische Meinungen kein Tabu mehr sind. Sie haben wieder einen Platz im öffentlichen Diskurs gefunden. Man kann Rassismus und Sexismus nicht an den Wahlerfolgen der AfD messen. Ich würde wohl eher nach Bayern auswandern, als die AfD zu wählen, und trotzdem bin auch ich nicht frei von Vorurteilen. Ich glaube, dass es unglaublich wichtig ist, sich damit auseinanderzusetzen. Bevor wir die Welt vor Nazis und patriarchalen Strukturen retten können, müssen wir bei uns selbst anfangen. Wenn man in einer Gesellschaft aufwächst, in der gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit zum Alltagsgeschäft gehört, kann man die Gedanken, die ich geschildert habe, wohl nie zu hundert Prozent aus dem Kopf löschen. Aber man kann sie bemerken, man kann sie hinterfragen und man kann sie bekämpfen. Ich verurteile niemanden, der manchmal rassistisch oder auch sexistisch denkt. Aber ich verurteile jeden, der das gut findet und diesen Gedanken Taten folgen lässt.

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