Adnan mit Kindern der Schule in Moaddamiyeh 2016. Foto: Privat
Adnan mit Kindern der Schule in Moaddamiyeh 2016. Foto: Privat

Through Their Voices: Die Stimme des Hoffnungsgebers

Through Their Voices ist eine Interviewserie mit zehn syrischen Aktivisten aus der belagerten Stadt Moaddamiyeh, westlich von Damaskus. Die Stimme des Hoffnungsgebers gehört Adnan Abo Moustafa, der dafür kämpft, dass seine Mitmenschen die Kraft der Hoffnung nicht verlieren.

Von Ameenah A. Sawwan, 18.07.2016

Moaddamiyeh war ein früher Hotspot für die Anti-Assad-Demonstrationen und der darauffolgenden Regierungsunterdrückung. Die Menschen leiden seit vier Jahren unter der Belagerung durch das Assad-Regime und wurden im August 2013 mit chemischen Waffen angegriffenen. Trotz aller Gewalt, die ihnen bis heute widerfährt, haben diese Aktivisten den Glauben an den Frieden auch nach fünf Jahren der Revolution nicht verloren. Es ist höchste Zeit, dass ihre Stimmen Gehör finden. Ihre Worte reflektieren ihre Anstrengungen und Hoffnungen. Die Stimme des Hoffnungsgebers ist der vierte Teil der Serie.

Adnan Abo Moustafa schloss sein Sportstudium im Jahr 2008 ab. Er hatte sich für dieses Studienfach entschieden, weil er dachte, dass es als Sportlehrer relativ leicht wäre, Arbeit zu finden. Doch er schien sich getäuscht zu haben. Dutzende Bewerbungen bei staatlichen Schulen blieben erfolglos. Letztendlich fand Adnan eine Anstellung an einer Privatschule in Douma, einem Vorort im Osten von Damaskus, wo er von 2008 bis 2011 als Lehrer arbeitete. Adnan interessierte sich schon immer für die Nachrichten aus dem Mittleren Osten und wusste stets Bescheid über die jüngsten politischen Entwicklungen. Das war etwas, was seine Eltern nicht gerne sahen.

“Meine Eltern wollten, dass ich mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmere. Sie sind der Meinung, dass ich mich auf meine Karriere konzentrieren sollte, um später meine eigene Familie gründen zu können. Aber mir kam es schon immer falsch vor, zur Arbeit zu gehen, zurück nach Hause zu kommen, Zeit mit der Familie zu verbringen und sich niemals umzusehen. So zu tun, als ob all das, was um uns herum in Syrien passierte, nicht existierte, fiel mir schwer. Die soziale Ungerechtigkeit und die nicht vorhandene Meinungsfreiheit waren Themen, die ich nicht ignorieren konnte.

Die Angst, die die Menschen hier haben, wenn sie einen Polizisten sehen, sei es auch nur ein Verkehrspolizist, ist alles andere als normal. In anderen Ländern fühlen sich die Menschen beschützt, wenn die Polizei in der Nähe ist, aber bei uns ist es genau das Gegenteil.

Ich habe da etwas erlebt, dass ich niemals vergssen werde. Als ich meinen Militärdienst leisten sollte, bin ich direkt zur zuständigen Behörde gegangen, aber als ich meinen Dienst antreten sollte, war ich drei Tage zu spät dran. In einem Land, das seine Bürger respektiert, würde man sie zumindest wie menschliche Wesen behandeln. Ich hätte erwartet, dass ich ein Bußgeld zahlen muss oder so, aber ich hätte mir niemals vorstellen können, dass man mich an Armen und Beinen fesseln und mit einer Gruppe anderer junger Leute, die sich in der gleichen Situation befand, einsperren würde. Sie hielten uns drei Tage lang an diesem Ort fest, der aussah wie ein Gefängnis und an dem die Mischung aus Kriminellen und “normalen” Gefangenen die Situation noch verschlimmerte. Das war wirklich erniedrigend. Bis heute verstehe ich nicht, warum sie so etwas taten.”

Dann im Jahr 2011 erfüllten sich Adnans Hoffnungen. Im März begannen die Bürger von Moaddamiyeh Demonstrationen gegen das Regime zu organisieren. Es formierten sich zahlreiche kleine Gruppen. Meist bestanden sie aus bis zu fünf Personen, denn das war das Maximum an Menschen, von denen man sicher sagen konnte, dass man ihnen vertraut. Viele dieser Gruppen organisierten ihre Anti-Regime Demos unabhängig voneinander, ohne überhaupt zu ahnen, dass sich andere Gruppierungen parallel engagierten.

Adnan war begeistert, als er die erste Demonstration in Moaddamiyeh sah, obwohl er und seine Freunde eine eigene Demonstration planten. Er stimmte mit den Aktivisten die Parolen an und entkam, im Gegensatz zu vielen anderen an diesem Tag, knapp einer Festnahme. Douma, die Stadt in der er unterrichtete, wurde zu einem weiteren Hotspot für Demonstrationen. Um nicht täglich die Kontrollpunkte des Regimes zwischen Moaddamiyeh und Douma passieren zu müssen, entschloss Adnan sich im April 2011, seinen Job zu kündigen. Er begann stattdessen Tag und Nacht an der Organisation der Demonstrationen zu arbeiten.

“Zu Beginn der der Demonstrationen war alles ziemlich einfach. Wir benutzen Mobiltelefone, um die Demonstrationen aufzuzeichnen. Große Pappschilder und dicke Filzstifte waren damals schon tabu. Unsere Aktionen beschränkten sich zwar auf Moaddamiyeh, aber wir nahmen täglich auch an anderen Demonstrationen in Damaskus und Vororten wie Joubar, Yarmouk, Qatana und Jdaidet Artouz teil.”

Als das Assad-Regime begann, in den Gegenden, in denen Demonstrationen stattfanden, Razzien durchzuführen, beschloss Adnan, dass er und seine Freunde etwas tun sollten. Er überlegte, dass sie die Bewegungen von Assads Truppen beobachten und auf elektronischem Wege für die anderen Gruppen nachvollziehbar machen könnten. So könnte man die Aktivisten warnen und sie davor bewahren, verhaftet oder gar getötet zu werden. Adnan gründete eine Chatgroup auf Skype und lud alle vertrauenswürdigen Aktivisten ein mitzumachen.

“Wir erhielten ein komplettes Update der Bewegungen von Assads Truppen und versuchten die Menschen vor deren Eintreffen zu warnen. Ich erinnere mich noch gut an einen bestimmten Tag im Jahr 2012. Ich befand mich in einer Wohnung, die von Assads Leuten umzingelt war und verfolgte und aktualisierte die jüngsten Neuigkeiten über die Chatgroup. Ich schrieb den Leuten, dass ich jede Minute verhaftet werden könnte. Es war einzig eine Frage des Schicksals, ob sie mich festnehmen oder töten würden. Das waren jedenfalls meine Aussichten, wenn sie das Gebäude betreten würden. Aber sie taten es nicht. Darauf warten zu müssen, ob ich leben oder sterben würde, war eine harte Erfahrung.

Als in Homs das große Massaker stattfand, erhielten wir dutzende Nachrichten von dort und versuchten zu helfen – bis das Regime auch Moaddamiyeh angriff. Es gab Menschen, die hierher geflohen waren, weil sie sich und ihre Familien hier in Sicherheit wähnten, doch es dauerte nicht lang und sie mussten auch aus Moaddamiyeh fliehen.

In dieser Zeit waren wir nicht einmal in der Lage die Leichen zu begraben, weil sie aus Hubschraubern auf uns schossen. Manchmal warteten wir bis in die Nacht, um uns hinauszuschleichen und sie in Totenstille zu begraben. Nicht aus Trauer, sondern aus Angst, ebenfalls aus einem Hubschrauber beschossen zu werden.”

Dann begann die Zeit der offiziellen Belagerung von Moaddamiyeh und vielen anderen Vororten von Damaskus. Die Menschen in Moaddamiyeh litten seit März 2013 sehr stark unter der Belagerung. Sie mussten mitansehen, wie viele Kinder an Unterernährung starben. Adnan und seine Freunde versuchten, über Social Media und verschiedene Medienkanäle auch im Rest der Welt ein Bewusstsein über die Vorgänge in Moaddamiyeh zu schaffen.

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Adnan nachdem er ein Graffito fertig gezeichnet hat, Moaddamiyeh 2016. Foto: Privat

“Nach einer langen Phase der Belagerung wurden wir gezwungen die Bedingungen des Regimes zu akzeptieren. Für uns hatte sich nichts geändert, aber wir hatten keine Wahl, wenn wir nicht verhungern wollten. Wir glauben aber noch immer an all die Prinzipien die wir hatten und auch immer haben werden.”

Adnan und seine Mitstreiter gründeten eine Organisation vor Ort, um die Grundbedürfnisse der Bürger von Moaddamiyeh sichern zu können. Die Wasserversorgung war aufgrund von Unruhen in der umliegenden Gegend unterbrochen. Die Menschen hatten es ohnehin schon schwer und die Wasserkrise verschärfte das Leid noch. Adnan arbeitete hart daran, Gelder aufzutreiben um Trinkwasser aus den umliegenden Quellen zu den Häusern der Menschen in Moaddamiyeh liefern zu können.

Heute steht Moaddamiyeh wieder unter Belagerung. Seit Anfang 2016 wurden alle Zugänge zu der Stadt geschlossen. Vor kurzem erlaubten die Behörden den Studenten wieder zur Universität zu gehen, allerdings ohne ihre Sicherheit dort zu gewährleisten.

“Wir befinden uns aufgrund des Drucks und der Belagerung in sehr schlechter psychischer Verfassung und das ist mit das Härsteste, was wir durchstehen müssen. Aber wann immer ich ein motivierendes Selbstgespräch führe, muss ich nur an meine Cousins und meinen jüngeren Bruder denken, die bei den Bombardierungen ums Leben gekommen sind, um zu wissen, dass ich weitermachen muss. Ich muss unbedingt weitermachen! Wenn ich Fotos von ihnen und von uns allen gemeinsam betrachte, dann habe ich Hoffnung. Große Hoffnung, die ich in meinem Umfeld säen und beim Wachsen unterstützen muss. Wir hier, wir säen Hoffnung, mit dem Wunsch, sie möge erblühen.”

In zwei Wochen erscheint an dieser Stelle die fünfte Folge der Reihe Through Their Voices : Die Stimme der Rückkehrerin, ein Interview mit Basma, die erzählt, warum sie  ihre Heimat nicht hinter sich lassen konnte und wie sie eine Weg gefunden hat, den Menschen vor Ort zu helfen.

Bereits erschienen sind Die Stimme des Träumers (1) / (2) , Die Stimme der Lehrerin, und Die Stimme des Sanitäters.

Ameenah A. Sawwan ist eine syrische Aktivistin und Journalistin aus Moaddamiyeh. Sie macht in ihren Texten auf Menschenrechtsverletzungen in den Krisengebieten Syriens aufmerksam. Ihre Augenzeugenberichte des Giftgasangriffs von 2013 waren Teil einer großen Aufklärungskampagne in den USA. Ameenah A. Sawwan bringt Geschichten aus dem Inneren Syriens ans Licht und zeigt uns Seiten ihres Heimatlandes, die heute kaum mehr sichtbar sind.

Aus dem Englischen: Julia Dösch

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