Illustration: Tuffix (2017)
Illustration: Tuffix (2017)

Der weinende Patient

Eigentlich berichtete Sajjad dem Patienten im Krankenhaus nur aus seinem Leben. Was dann unerwartet geschah, erzählt er im zweiten Teil unserer JIK puzzle Kolumne.

Von Sajjad Haqpana, 18.12.2017

Es gibt im Alltag viele Begegnungen, die mich geprägt haben. Aber eine ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Sie fand letztes Jahr während meines Praktikums im Helios Krankenhaus in Schleswig statt. Eines Tages hatten wir dort einen älteren Patienten, bei dem ich Blut abnehmen und Elektrokardiogramm (EKG) messen sollte. Während der Behandlung musterte der Patient mich und fragte, woher ich sei. Ich erzählte ihm, dass ich aus Afghanistan komme. Sein Interesse war geweckt: „Seit wann sind Sie hier in Deutschland und wo ist Ihre Familie?“. Ich berichtete, dass ich seit einem Jahr und drei Monaten in Deutschland bin und meine Familie noch in Afghanistan ist. Es veränderte sich etwas in den ruhigen Augen des Mannes, er sah in diesem Moment sehr traurig aus. Aufgeregt wollte er wissen, ob meine Familie denn auch bald nach Deutschland kommen werde.

Ich spürte wie sich bei dem Gedanken an meine Familie ein Klos in meinem Hals bildete ich schluckte. Dann blickte ich dem Patienten in die Augen und erklärte ihm, dass meine Familie wegen der Rechtslage in Deutschland leider nicht nachkommen kann. Der Familiennachzug wurde im Rahmen der neuen Asylgesetze stark eingeschränkt, deswegen gibt es momentan keine legale Einreisemöglichkeit für meine Eltern.

Daraufhin fing der Mann bitterlich an zu weinen. Er weinte so sehr, dass sein Kissen ganz nass wurde. Er war aufgebracht, eine „Scheiß Politik“ sei das: „Warum trennen sie einen Sohn von seiner Familie?“. Er weinte immer lauter, während ich ihn zu beruhigen versuchte und versicherte, dass es mir leid täte und ich gewiss nicht vorhatte ihn zum Weinen zu bringen. Ich war völlig ratlos und setzte mich schließlich einfach zu ihm aufs Bett meine Hand beruhigend auf seiner Schulter. Die Situation begann mir langsam unangenehm zu werden und auch meine Kolleg*innen waren vom lauten Weinen des Patienten auf uns aufmerksam geworden.

Sie kamen herbeigeeilt und fragten, was passiert sei, was ich mit dem Mann getan hätte „Hast du ihn beim Blutabnehmen verletzt, oder etwa geschlagen?“. Angesichts des heftigen Gefühlsausbruches gingen sie wohl davon aus, dass ich bei der Behandlung etwas falsch gemacht haben musste. Was für eine Situation! Ich hob die Hände, um meine Kollegen zu besänftigen, dann erklärte ich ihnen aufgeregt, dass ich dem Mann nur aus meinem Leben erzählt hatte. Als ich das Missverständnis aufklärte mussten wir alle unfreiwillig lachen.

Auch später als ich die Geschichte auf der Jungen Islam Konferenz erzählte, brachte sie alle Zuhörer*innen zum Lachen. Aber ein Teil von mir war von dieser Begegnung auch sehr berührt. Obwohl er mich gar nicht kannte hatte ein mir unbekannter Mann in diesem Moment so viel Mitgefühl für mich, dabei war er es, der im Krankenhausbett lag. Auch wenn das Ganze damals sehr unangenehm für mich war, im Nachhinein ist es gut zu sehen, dass auch sehr ernste Situationen mit Lachen enden können.

 

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