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Weg aus dem Asylcontainer

„Beschränkung“ von Denijen Pauljević ist ein Kurzfilm, gedreht aus der Sicht eines jungen Mannes, der nach Deutschland geflohen ist und sich hier in einer Zwangslage wiederfindet. Er ist vor über zwanzig Jahren entstanden, aber auch jetzt von großer Aktualität.

Von Malak AlSayyad, 11.12.2017

„Beschränkung” (1995) ist ein Kurzfilm, den Denijen Pauljević zusammen mit Matthias Weinzierl gedreht hat. Die beiden hatten sich eines Tages in einem Café in München kennengelernt und gemerkt, dass sie das Interesse am Filmemachen teilen. Matthias schlug gleich vor, zusammen einen Film zu drehen. Denijen sollte in den folgenden zwei Wochen das Drehbuch für den Kurzfilm schreiben, dann wollten sie sich wiedertreffen. „Ich habe mir damals gedacht: Ok, den Typen kenn ich gar nicht und nach fünf Minuten bietet er mir so was an.“ erzählt Denijen lachend. „Aber ich versuchte es trotzdem und habe einen Text für einen Kurzfilm geschrieben.“ Tatsächlich wurde etwas daraus – sie trafen sich zwei Wochen später und arbeiteten zusammen weiter am Drehbuch. Matthias schaffte es außerdem, in zwei Monaten die erforderlichen Gelder zu sammeln und eine kleine Filmcrew zusammenzubringen. In sechs Wochen wurde gedreht und kurze Zeit später lief der Film sowohl in verschiedenen Kinos als Vorfilm, als auch an Unis innerhalb und außerhalb Deutschlands.

Als Denijen und Matthias sich an jenem Tag im Café getroffen hatten, war Denijen erst seit zwei Tagen im Asylbewerberheim. In Deutschland war er schon seit einem Jahr, aber er hatte bis dahin in einem Versteck leben müssen. Als 1992 der Jugoslawienkrieg ausbrach floh er, damals gerade 18 Jahre alt, aus seiner Heimatstadt Belgrad, der Hauptstadt des jetzigen Serbiens. Er wollte über Prag nach München, um dort Filmregie zu studieren, doch war das Programm für ausländische Studierende unerschwinglich. Also machte er stattdessen ein Praktikum beim tschechischen Fernsehen. Danach reiste Denijen illegal nach Deutschland ein und kam nach München, wo er seit mittlerweile 25 Jahren lebt.

Denijen sieht im Rückblick Parallelen zwischen der damaligen Situation um 1992 und den Krisendiskursen der letzten Jahre: Fast 300,000 Geflüchtete kamen damals innerhalb von einem Jahr nach Deutschland, hauptsächlich aus Bosnien und Herzegowina. Zu der Zeit weckte das, laut Denjien, auch Widerstände, die sich zum Beispiel in Äußerungen wie „Das Boot ist voll!“ entluden. Geflüchtete waren auch mit Feindseligkeit, Diskriminierung und sogar Gewalt konfrontiert. Die Stimmung gipfelte in den Angriffen auf Flüchtlingsheime, die viele Menschen schockten und im Gedächtnis blieben. Denijen hatte Glück, er traf hauptsächlich Menschen, die ihm gegenüber freundlich gesinnt waren. „Trotzdem gab es in München Ausländerfeinde.“, erinnert er sich, „Gerade an diesen bürokratischen Orten, wo ich meinen Aufenthalt verlängern musste, spürte ich die Ablehnung und Feindseligkeit ganz stark.“

Das Wort „Beschränkung“ beschreibt das Leben, das zu führen von ihm und vielen anderen Asylsuchenden in Deutschland erwartet wurde. Sie durften weder arbeiten noch studieren, noch sich frei über die Stadt München hinausbewegen. „Das Einzige, was ich hätte machen können, war, mich in den Asylcontainer zu setzen und zu warten“, erklärt er, “aber das habe ich natürlich nicht gemacht. […] Ich versuchte, das Beste aus meiner Situation zu machen. Wenn sie mich am nächsten Morgen abgeschoben hätten, wüsste ich so wenigstens, dass ich nicht nur passiv in der Ecke gesessen und gewartet hatte.“ Denijen arbeitete schwarz, gründete eine Band, mit der er bei vielen Konzerten auftrat und reiste außerdem in verschiedene Städte, um seinen Film vorzuführen und ihn auch außerhalb Deutschlands zu präsentieren. Heute fühlt er, wie der Druck, die Spannung, die Angst und der Wunsch, das Beste aus allem zu machen, ihm das Gefühl gab sehr „intensiv zu leben“. Eine Intensität, die er so noch nicht wieder erlebt hat. Als Denijen vor Jahren das Drehbuch für den Film schrieb, war alles intuitiv und spontan, erst rückblickend nimmt er bewusst wahr, wie die Zerbrechlichkeit seines Lebens und seine bedrohte Existenz aufgrund des Krieges und der Gefahr zurückgeschickt zu werden, im Film symbolisiert ist – im Zerbrechen des Glases.

Wenn Denijen den Film über die Jahre hinweg ab und zu wieder anschaute, fühlte er sich immer wieder aufs Neue in diese Zeit versetzt. „Ich habe das Ganze irgendwie vergessen, also ich kann mich schon dran erinnern aber irgendwie fühle ich es nicht mehr.“ Heute macht Denijen selbst Asylsozialberatung, und wenn er mit geflüchteten Menschen spricht, hat er das Gefühl als wäre er nun auf der anderen Seite, obwohl er Ähnliches durchgemacht hat. Auch ihm fiel es damals sehr schwer, über Jahre hinweg in Angst und Ungewissheit zu leben. „Und ab und zu, wenn ich den Film anschaue, dann komm ich ganz kurz wieder in diese Gefühle von Angst und Unsicherheit hinein, die mich damals sehr belastet haben.“

Denijen hat hart gearbeitet und sich seine Freiheit den Beschränkungen zum Trotz erkämpft. Seit 2017 hat er die deutsche Staatsangehörigkeit und so offiziell die gleichen Freiheiten wie seine deutschen Mitbürger*innen. Das Wort oder der Zustand der „Beschränkung“ spielt in seinem Leben trotzdem eine Rolle, aber heute fühlt er sich nicht von außen begrenzt wie früher, sondern sieht sich selber für die alltägliche Beschränkung verantwortlich.

Er hofft, dass sein Film Neuangekommene inspirieren kann, aus ihren Zwängen auszubrechen und so Einfluss zu nehmen auf die eigene Situation und Auswege zu finden. Er möchte zeigen, wie wichtig es ist, aktiv zu bleiben und nicht auf Hilfe von Anderen zu warten. Für ihn ist das Wichtigste, durch eigene Aktion, das Beste aus der jeweiligen Situation zu machen. 25 Jahre später, sieht sich Denijen den Film immer noch gerne an. Trotz der begrenzten technologischen Möglichkeiten mit denen sie damals als Amateure drehten, hat der Film für ihn eine ganz eigene, ungefilterte Kraft. „Er hat so was Raues an sich, auch ein bisschen was Wildes.“

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