Die Geschäftsführerin von WIR MACHEN DAS, Caroline Assad. Foto: Juliette Moarbes
Die Geschäftsführerin von WIR MACHEN DAS, Caroline Assad. Foto: Juliette Moarbes

Segregierte Schulen: ein Definitionsproblem

Warum sollen „Ausländer*innen“ das Problem an sogenannten Brennpunktschulen sein? Wieso wird das Problem überhaupt als solches definiert? Und wer hat die Deutungshoheit über das Thema?

Von Caroline Assad, 19.09.2019

Alle sind sich einig, vieles stimmt mit dem Bildungssystem nicht. Auch in einigen Berliner Bezirken gilt das System als Problem, das Unwort „Brennpunktschule“ ist uns allen bekannt. Das Wort ist Code und steht meist für Institutionen, die als „Ausländer-Schulen“ angesehen werden. Dort sind nicht Lehrer*innen die Ausländer*innen, sondern die Schüler*innen und Eltern. Das pädagogische Personal spiegelt noch immer nicht die Pluralität der Gesellschaft insgesamt wider und deckt sich kaum mit den Zuwanderungsgeschichten unter den Schüler*innen.[1] (Massumi 2014)

Probleme von segregierten Schulen werden in Studien oft zusammengefasst mit schwächeren Lernergebnissen und ungleichen Lernchancen. Vor allem sind es Grundschulen die von Eltern mit höherem sozio-öknomischen Status und ohne Migrationshintergrund gemieden werden. Es sind viele Faktoren, die da zusammenspielen und eine Art Ohnmachtsgefühl bei Eltern, Schüler*innen und Lehrer*innen kreieren. Doch vor allem für betroffene Schüler*innen ist es eine äußert ungesunde Dynamik, wenn ihr Umfeld ihnen vermittelt, dass sie „nicht gut genug sind“. Meist führt es zu einer Kette von Konsequenzen und wird zur sich selbst erfüllenden Prophezeihung auf allen Ebenen.

Verstärkt wird das Ganze dadurch, dass viele der Lehrer*innen, die an solchen Schulen arbeiten, sich fühlen, als seien sie dazu verdammt worden. Das führt häufig dazu, dass sie die Schuld an der Situation bei der Schüler- und Elternschaft der Schulen suchen. Und was haben diese Eltern und Schüler*innen alle gemeinsam? Den Migrationshintergrund. War also ein latenter Rassismus bei Lehrkräften oder Erzieher*innen bereits vorhanden, so wird er durch segregierte Schulen leider oft verstärkt und tritt in den Vordergrund.

Vor zwei Jahren war ich an einem Projekt beteiligt, das die Außenwahrnehmung einer „Brennpunktschule“in Berlin verbessern sollte. Anhand einer 360°-Feedback-Studie wollten wir herausfinden, wie die Beteiligten – Lehrer*innen, Schüler*innen, Eltern, Senatsverwaltung und Kooperationspartner*innen – die Arbeit der Schule wahrnehmen. Also ließen wir unterschiedliche Kategorien, wie Unterrichtsqualität, Zusammensetzung der Schülerschaft oder Schul-AGs von diesen Gruppen bewerten. Mehrsprachige Fragebögen und Interviews wurden eingesetzt, um eine möglichst hohe Anzahl von Personen zu erreichen.

Bevor die Ergebnisse überhaupt ausgewertet wurden, war eines sofort klar: Die Diskrepanz zwischen dem, was die einzelnen Gruppen als problematisch wahrnahmen, war in vielerlei Hinsicht groß. Die Haltung der meisten Lehrer*innen: Kinder nichtdeutscher Herkunftssprachen – im Alltagssprech ndH-Schüler*innen oder „Ausländerkinder“ – sind problematisch, anstrengend und schrecken die “deutschen“ (Code für weiße) Kinder ab. Genau wie deren Eltern, bio-deutsche Erwachsene, die den Nachwuchs nicht auf eine Schule mit hohem ndH-Anteil schicken wollen.

Nach unzähligen Versuchen, diese Ansichten zu analysieren und aufzuarbeiten, nach Worskhop-Gesprächen und sanften anti-rassistischen Annäherungen bei Studientagen, gelangten wir zu einer Art Waffenstillstand. Alles, was über vorsichtiges Antasten hinausging, wurde thematisch sofort als Missstand eingeordnet, dem man nur mit Empörung begegnen konnte. Am Ende waren wir aber immerhin soweit, dass keine Schuldzuweisungen mehr in die Runde geworfen wurden, was wir letztlich als einen der wenigen Erfolge dieses Projekts betrachteten.

Die Suche nach den Quellen für Diskriminierung, die durch Bildungsungleichheit entsteht, ist etwas, das am Phänomen segregierter Schulen wunderbar beobachtet werden kann. Das haben nicht nur die Lehrer*innen an dieser einen Schule erkannt.

Doch so gut gemeint, schlüssig konzipiert und wirksam sie auch sein mögen: Selbst Ausschreibungen für Förderprogramme, die das Image einer Schule verändern oder ein sogenanntes School-Turnaround – den positiven Veränderungsprozess an Schulen – anregen sollen, verdrängen die Realität. Sie verdrängen strukturelle Probleme und strukturellen, institutionalisierten Rassismus.

Dass viele weiße Eltern und auch die besser Situierten mit Migrationshintergrund sich extra ummelden lassen, um ein bestimmtes Einzugsgebiet und damit eine bestimmte Schule zu umgehen, ist einer der Gründe, warum es segregierte Schulen überhaupt gibt. Da spielen sicherlich auch Klassismus und Rassismus eine Rolle.

Das Problem von segregierten Schulen könnte aber auch als Versagen der Lokalpolitik bewertet werden, die anscheinend kein Interesse daran hat, bestimmte Einzugsgebiete so zu bestimmen, dass die Schulen diverser werden. Die kaum Maßnahmen entwickelt, um den vielen Ummeldungen entgegenwirken. Kreuzberger*innen, die gentrifizierte Straßen und Kieze bestens kennen, müssen nur einen Blick auf die Bezirkskarte mit den Einzugsgebieten werfen, um zu erkennen, wo es möglicherweise „Probleme“ geben könnte.

Schulbusse, ja oder nein, auch das ist eine der Fragen, die oft diskutiert werden, wenn über segregierte Schulen nachgedacht wird. Denn die Busse könnten Schüler*innen außerhalb ihrer Bezirke zu Schulen bringen und somit eine Methode der Desegregierung werden. Die Antwort auf die Frage lautet trotzdem gerne: Nein! Weil Kinder zu Schulen in ihrer Nähe gehen sollten, idealerweise zu Fuß. Wir leben aber nicht in einer idealen Welt. Rassismus, Klassismus und die damit einhergehenden Bildungsungleichheit sind keine idealen Zustände.

Deshalb muss Bildungsgleichheit priorisiert werden. Und es braucht dringend Investitionen in Berliner Schulen, um sich dem Ziel anzunähern. Möglicherweise wird der Komfort von einigen etwas wackeln, wenn Privilegien sich neu verteilen – um eine Situation zu erreichen, in der weniger Personen benachteiligt sind. Aber wir müssen uns die Frage stellen: Welche Lösungen und Maßnahmen braucht es, um Schulsysteme aufzubauen, die der Einwanderungsgesellschaft gerechter werden?

 

Literatur:

  • Fincke, Gunilla / Morris-Lange, Simon (2012): Segregation an Grundschulen: Der Einfluss der elterlichen Schulwahl. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) GmbH.
  • Massumi, Mona (2014): Diversität in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung – zur Bedeutung von Lehrkräften mit Migrationshintergrund. In: Haushalt & Bildung. Heft 1. S. 87-95.
  • Morris-Lange, Simon / Wendt, Heike / Wohlfarth, Charlotte (2013): Segregation an deutschen Schulen. Ausmaß, Folgen und Handlungsempfehlungen für bessere Bildungschancen. Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) GmbH
  • Morris-Lange, Simon (2018): Schule als Sackgasse? Jugendliche Flüchtlinge an segregierten Schulen. Forschungsbereich beim Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) GmbH.
  • [1] Vgl. dazu Massumi 2014
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