Foto: (M) Trish P. Schultz und Aaron Burden/Unsplash
Foto: (M) Trish P. Schultz und Aaron Burden/Unsplash

Die Welt mit anderen Augen sehen

Tupoka Ogette arbeitet als Anti-Rassismus-Trainerin. Sie hält in ganz Deutschland Seminare in Schulen und Kitas und gibt Workshops für Eltern und Kinder. Mit WIR MACHEN DAS sprach sie über Vielfalt, Alltagsrassismus und Schwarze Weihnachtsmänner.

Von Elisabeth Wellershaus, 07.05.2019
Sie arbeiten als Anti-Rassismus-Trainerin an deutschen Schulen und Kitas. Ist Ihr Job seit den verschärften Identitätsdebatten der letzten Jahre mittlerweile noch schwieriger als zuvor?

Ich würde sagen, gleichbleibend komplex. Das Wort Rassismus kommt vielen Lehrer*innen, Erzieher*innen und Eltern ja nicht erst seit ein paar Jahren schwer über die Lippen. Und wenn doch, dann wird es schnell im Skinheadmilieu oder in der Rechtsaußen-Politik verortet. Rassismus ist aber strukturell und institutionell tief verankert, er ist Teil unserer Sozialisierung. Ich treffe in meinen Seminaren regelmäßig auf Erzieher*innen und Lehrer*innen, die Übergriffe auf Asylbewerber*innenheime und AfD-Parolen ganz schlimm finden. Die ansonsten aber kaum wahrnehmen, dass People of Color in Büchern, Filmen oder in der Werbung meist als „anders“, exotisch und nichtzugehörig dargestellt werden. Genau da setzt meine Arbeit an: Ich vermittle, wie vielfältig Deutschsein heute aussieht und dass Rassismus erst dann aufhören wird, wenn wir auch mit unseren Kindern darüber sprechen.

Was müsste an Schulen und Kitas passieren, um Alltagsrassismus angemessen zu begegnen?

Etwas mehr Diversität im Personal wäre oft schon hilfreich. Weil Lehrer*innen und Erzieher*innen, die selbst Erfahrung mit Rassismus gemacht haben, in der Regel auch unbefangener darüber sprechen. Das Wichtigste ist eine diskriminierungskritische Kompetenz aller lehrenden Personen. Wenn in der Kita meines Sohnes „Ein Bär in Afrika“ gelesen wird, hat das zwar mit seiner Lebensrealität als Schwarzer Junge in Berlin nichts zu tun. Es verstärkt aber die rassistischen Zuschreibungen über Menschen wie ihn.

Wie kann es gelingen, Kindern individuelle kulturelle Identität als etwas Gemeinschaftstiftendes zu vermitteln?

Im kontinuierlichen Gespräch. Viele Kita-Kinder erleben noch immer erschreckend oft Grenzüberschreitungen in Bezug auf ihren Körper und ihre Haare. Für Erzieher*innen wäre es ein Leichtes, zu sagen, dass jedes Kind auf seine Weise schön ist und hier in Deutschland zu Hause. In der Realität wird aber noch immer viel zu viel Bedeutung auf die vermeintlichen Wurzeln gelegt. Erzieher*innen müssen also dringend lernen, dass Yusuf nicht Baklava mögen und mein Sohn nicht Fufu in die Schule mitbringen muss – dass er auch Bratwurst essen darf. Je früher Kinder – und Pädagog*innen – lernen, bestimmte Unterschiede nicht gegeneinander auszuspielen, umso besser.

Sie sind in den 80er-Jahren in Leipzig aufgewachsen und waren damals ziemlich alleine unter Weißen. Was nehmen Sie aus dieser Erfahrung für Ihre Arbeit mit?

Tatsächlich war ich mit meinen Problemen damals meist alleine, habe vieles mit mir selbst ausgemacht. Schon weil ich mich für das vermeintliche Nichtdazugehören geschämt habe. Irgendwann habe ich angefangen, selbst daran zu glauben, dass ich nicht nach Deutschland gehöre, und die gleichen Stresssymptome entwickelt wie viele andere Schwarze Kinder: unter anderem Neurodermitis und Asthma. Als ich zum Studium nach Frankreich ging, war ich zum ersten Mal in meinem Leben nicht mehr in der Minderheit. Aber das Thema holte mich sofort wieder ein, als ich zurück nach Deutschland zog. Dieses Mal wurden meine Kinder gefragt: „Wo kommt ihr her, und wann geht ihr dorthin zurück?“ Als mein Sohn eines Tages nach Hause kam und sagte: „Ich will nicht mehr braun sein, das ist hässlich“, wusste ich, dass ich etwas unternehmen muss.

Kurz darauf haben Sie Ihren ersten Empowerment-Workshop für Schwarze Kinder abgehalten. Wo genau haben Sie die jungen Menschen inhaltlich abgeholt?

Die ersten Anfragen waren aus dem Freundeskreis gekommen. Über verschiedene Netzwerke, wie den Verband binationaler Familien und Partnerschaften, habe ich dann immer mehr Aufträge bekommen, mittlerweile leite ich die Kurse zusammen mit meinem Mann. In der Regel kommen Kinder ab sechs Jahren zu uns, die davon erzählen, was sie im Alltag belastet. Meist sind es blöde Sprüche über Aussehen und vermeintliche Herkunft. Wir versuchen das aufzufangen, reden über Stärken und Vorlieben und darüber, wo die Kinder sich Unterstützung holen können, wenn sie angegriffen werden. Vor allem vermitteln wir, dass sie aussprechen dürfen, wenn sie sich verletzt fühlen. Mit Älteren spielen wir solche Situationen auch nach. Und insgesamt sagen wir immer wieder: Der Rassismus ist das Problem, nicht ihr.

Eines Ihrer Workshop-Formate ist speziell an weiße Eltern von Schwarzen Kindern adressiert. Wie bewusst ist diesen Eltern in der Regel die andere Realität, in der ihre Kinder leben?

Für weiße Eltern ist es natürlich nicht leicht, die Welt mit Schwarzen Augen zu sehen. Viele denken, dass sie ihre Kinder beschützen, wenn sie das Thema Rassismus ausblenden. Später stellt sich dann aber bei manchen Kindern das Gefühl ein, dass ihre Eltern weggesehen haben – und dann kommt die Wut. Zum Glück ist unser Workshop mittlerweile sogar Pflicht in einigen Adoptions-Organisationen. Wir können Eltern also schon frühzeitig erklären, was sie beachten sollten. Und dass es nicht schadet, sich schon mal nach Schwarzen Weihnachtsmännern oder bestimmten Büchern auf die Suche zu machen, weil ihre Kinder sich nicht nur mit Lillifee, Conny oder Pippi Langstrumpf identifizieren werden.

Wie sieht diese Auseinandersetzung bei Ihnen zu Hause aus?

Meine Söhne wissen, dass Rassismus in unserer Familie kein Tabu ist. Unser Achtjähriger ist fast immer bei den Empowerment-Workshops dabei. Und unser Zwanzigjähriger hat mein Buch „Exit Racism“ bereits gelesen. Vor allem aber kennen unsere Kinder viele andere Schwarze Menschen aus unserem Umfeld. Menschen, die sie auffangen, wenn ihnen mal die Kraft fehlt, sich gegen den Rassismus im Alltag zu wehren.

Gerade das Wehrhafte verkneifen sich Kinder in Diskriminierungssituationen ja häufig.

Richtig. Weil die Betroffenen oft in die Krawallmacher-Schublade gesteckt oder die eigentlichen Probleme verharmlost werden. Um das zu vermeiden, müssten Eltern und Lehrer*innen sich klar positionieren. Sie müssten sagen, dass manche Dinge schlicht nicht ausgesprochen werden dürfen. Wenn Kinder hauen, beißen oder kratzen, ist schließlich auch jedem klar, dass es Gewalt ist. Bei rassistischer Diskriminierung heißt es dagegen oft: „War doch nicht böse gemeint.“

Würden Sie sagen, dass sich diese Art der Verdrängung auch in Medien und Literatur spiegelt, oder sehen Sie Ansätze einer Auseinandersetzung?

In diesem Bereich wird die Ausneinandersetzung schon teilweise geführt. Es gibt bereits ein paar tolle Kinderbücher zum Thema. „Das Wort, das Bauchschmerzen macht“ illustriert den Umgang mit dem N-Wort wunderbar für die Jüngeren. „Nelly und die Berlinchen“ beschreibt den Alltag von Kindern in all seiner Diversität. Und „Legenden, die uns verborgen blieben“ würde ich am liebsten in jeder Schule sehen: Es erklärt Schwarze europäische Geschichte aus Jugendperspektive. Trotzdem sehen viele Kinder Schwarze Menschen hier vor allem auf Anzeigetafeln von Hilfsorganisationen, als Drogendealer und Putzkräfte im Fernsehen oder bestenfalls in der Sportschau. Unserer Realität aber entspricht das kaum: Meine Kinder kennen Schwarze deutsche Ärzt*innen, Journalist*innen, Lehrer*innen und Politiker*innen.

Trotzdem werden auch Ihre Kinder noch immer gefragt, wo sie herkommen. Was antworten sie dann?

… aus dem Bus, aus der Schule, vom Capoeira. Aus Berlin!

 

 

AUCH INTERESSANT