Start in ein neues Leben

Mazhar Helioun ist ein 72-jähriger Flüchtling aus Syrien, der unter Lebensgefahr aus seiner Heimatstadt Homs geflohen ist. Heute hilft er, in einer Kirchengemeinde Fahrräder zu reparieren, organisiert Spenden und das Sammeln von Nahrungsmitteln und Kleidung. Fotos: Jennifer Fey

Von Asma Abidi, 16.05.2019
Mazhar Heiloun. Foto: Jennifer Fey
Foto: Jennifer Fey

Von der Abenddämmerung bis zum Morgengrauen

In Syrien hatte der gelernte Elektroingenieur Mazhar Helioun eine eigene Firma, heute repariert er Fährräder in einer Kölner Gemeinde. Dieser Neuanfang war für den 72-jährigen Familienvater sicher nicht leicht, aber er ist kein Typ, der einfach aufgibt. Die Geschichte seiner Flucht, begann 2012, denn da wurde Heliouns Stadtteil in Homs, mit einer überwiegend christlichen Bevölkerung, von ISIS-Kämpfern angegriffen und sein gesamter Besitz – Häuser und Geschäft – vollständig zerstört.

„Alles was ich mir über Jahre hinweg aufgebaut habe, wurde zerstört“ berichtet Helioun traurig. Die Familie sah sich gezwungen, im Ausland Zuflucht zu suchen. Im Jahr 2013 kamen die Heliouns schließlich, mittels eines Visums für humanitäre Hilfe, über den Libanon nach Deutschland. Sie erlebten mit ihrer Flucht Verbitterung und Angst, angekommen in dem neuen Land wuchs gleichzeitig die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ohne Krieg. Nach ihrer Ankunft lebte Familie Helioun in einem Flüchtlingslager bei Hannover.

Schon wenige Monate später zogen sie nach Köln um und ließen sich in Kalk-Kapelle, einem Stadtteil mit vielen Migrantinnen und Migranten aus Syrien, dem Iran und der Türkei nieder. Dank der Unterstützung der Caritas fanden sie hier eine passende Wohnung für die Familie. Eigentlich ein Glücksfall, aber trotz allem musste sich der Familienvater an die neue Situation gewöhnen. „Ich habe mehr als vierzig Jahre für nationale und internationale Projekte gearbeitet und hatte ein wohl situiertes Leben mit Häusern, einer Ingenieursfirma und Geschäften. Ich hatte ein gutes Leben. Als der Krieg ausbrach, habe ich alles verloren“ sagt Helioun, um verständlich zu machen, wie schwierig für die Familie war, hier, mit nur ein paar Hundert Euro vom Sozialamt, zu überleben.

Mazhar Heiloun. Foto: Jennifer Fey
Foto: Jennifer Fey

Neu in der Stadt
„In Köln gefällt es uns, hier leben Menschen aus aller Welt und es wird viel geboten“, sagt Helioun. Aber was Köln besonders liebenswert mache, sei nicht nur die freundliche Atmosphäre oder die Wochenmärkte, auf denen er regelmäßig Lebensmittel für die Familie einkauft, sondern die Hilfe, die er von verschiedenen Menschen und Organisationen erhalten habe. „Jemand von der Caritas half mir immer wieder die Briefe, die ich vom Jobcenter erhielt zu verstehen, andere halfen mir mit Wohnungstipps oder mit dem Deutschlernen“, fügt er hinzu.

Mazhar Helioun nahm sich vor, nach vorn zu blicken. Seine größte Angst war, zuhause zu sitzen und nicht mehr produktiv sein zu können. Darum beschloss er schnell, Deutsch zu lernen. Anders als andere Geflüchtete, die monate- oder auch jahrelang auf einen Platz in einem Deutschkurs warten müssen, hatte Mazhar Helioun Glück. Kurz nach seiner Ankunft konnte er bereits einen Deutschkurs an der Volkshochschule in Köln beginnen. Nachdem er das B1 Level erreicht hatte, entschloss er sich, tätig zu werden und zwar im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes. Die Freiwilligentätigkeit war Heliouns erster Schritt, um die neue Gesellschaft kennenzulernen und seine Sprachkenntnisse, durch direkten Kontakt mit Kölner Bürgerinnen und Bürgern zu verbessern. Das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben bietet ein speziell für Newcomer*innen zugeschnittetes Freiwilligenprogramm an und so bot sich ihm die Möglichkeit einer eineinhalbjährigen Beschäftigung in einer Kirchengemeinde in Vingst, einem Stadtviertel im Osten Kölns. Damit begann Mazhar Helioun seinen ersten Job seit der Flucht, in einer Garage der Kirchengemeinde St. Theodor.

Es ist inspirierend, ihm hier in seiner neuen, kleinen Welt zu begegnen. Die Arbeit passt zu ihm, er strahlt, ist voller Energie. „Ich mag diese neue Tätigkeit, denn ich erlebe so viele schöne Momente, treffe Menschen jeden Alters und das gibt mir viel Hoffnung.“ erzählt Helioun, während er die Räume zeigt. Hier repariert er Fahrräder, managt deren Ausleihe an andere geflüchtete Menschen und hilft den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei der Organisation der Verteilung und der Sammlung von Lebensmitteln und Kleidung. Anfangs erhielt er dafür einen kleinen Verdienst, aber nachdem sein Vertrag auslief, ging er ehrenamtlich weiter jeden Morgen früh in die Garage und setzte seine Arbeit mit der gleichen Motivation fort. Der Neu-Kölner aus Homs sagt:„Ich kann doch nicht zu Hause bleiben und nichts tun! Es ist mir wichtig, mit den einheimischen Kölnern in Kontakt zu bleiben, Deutsch zu lernen und mich nützlich zu machen, ich möchte dem Land, das uns mit offenen Armen empfangen hat, ein wenig zurück geben“.

Mazhar Heiloun. Foto: Jennifer Fey
Foto: Jennifer Fey

Entschlossen für das neue Leben
Momentan warten Helioun und seine Familie auf die Verlängerung ihrer Aufenthaltsgenehmigung, denn sie möchten ein permanentes Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommen. Nachdem sie alles verloren hätten, käme eine Rückkehr nach Syrien für sie nicht in Frage käme, erklärt Helioun. Er äußert seine Besorgnis darüber, dass die AfD Sitze im Deutschen Bundestag gewonnen hat. Mazhar Helioun verfolgt die Nachrichten sehr genau, besonders auf der Deutschen Welle, aber auch in anderen Medien, die Informationen über Deutschland in arabischer Sprache verbreiten. „In meinem Alter und nachdem ich die deutsche Sprache gelernt und mich in die Kultur integriert habe, ist eine Rückkehr nach Syrien keine Option mehr für mich. Ich wünsche mir, dass wir in dieser Gesellschaft akzeptiert werden und das Aufenthaltsrecht bekommen“, so die Hoffnung des Familienvaters.
Der Glaube an eine bessere Zukunft in Deutschland, bestärkt Mazhar Helioun darin, jeden Morgen um 7:00 Uhr den Bus zu nehmen und in die Kirchengemeinde St. Theodor zu fahren, um sein Leben noch einmal von vorne zu beginnen. Hier will er beweisen, dass sein Alter ihn nicht daran hindert, zu arbeiten oder eine neue Sprache zu erlernen. So kann er anderen Menschen, denen die Motivation fehlt, ihr Leben neu zu beginnen, ein Vorbild zu sein.

Foto: Nour Kelze

Dieser Artikel ist im Rahmen unseres Tandem-Projekts „Wir sind Viele. Geschichten aus der Einwanderungsgesellschaft“ entstanden und wurde initiiert von Wir machen das.

Der Beitrag ist zuerst im Mai 2018 in “caritas in NRW” erschienen.

Das Journalist*innen-Team für diesen Text bildeten Asma Abidi und Jennifer Fey.

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