Maia Kubis kocht mit Leidenschaft – für die Familie und die Gäste ihres kleinen Brandenburger Cafés. Darüber, wie sie mit veganem Fusion-Food die seelenlosen Riesenäpfel im Supermarkt verwindet und warum sie jenseits der Großstadt in Deutschland angekommen ist, spricht sie mit Ralf Stork.
Fotos von Inga Alice Lauenroth
Von Ralf Stork, 13.06.2019Kurz hinter Spandau fängt die Regionalbahn zu bummeln an. Vor dem Fenster ziehen ein paar Neubausiedlungen vorbei; der Bauwahn von Berlin hat längst auch das Umland infiziert. Ich bin auf dem Weg nach Falkensee zum gemeinsamen Kochen mit Maia Kubis. Maia ist vor 17 Jahren als Au-pair aus Georgien nach Deutschland gekommen. Dass sie nach vielen Jahren in Berlin nun in den Speckgürtel gezogen ist, zeigt, wie sehr sie mittlerweile in Deutschland angekommen ist: Wie viele andere Familien hat sie sich gemeinsam mit Mann und Kindern den Traum vom Eigenheim im Grünen erfüllt. Ein Häuschen aus den 30er-Jahren mit ein paar Macken und mit einem Grundstück, das groß genug für ihren Kräutergarten ist – so ähnlich, wie sie es von ihren Großeltern kennt.
Ich kenne die Gegend, habe für die Zeitung ein paar Jahre aus Falkensee und dem Havelland berichtet. Deshalb bin ich ein bisschen skeptisch, was den Ort angeht, den Maia zum gemeinsamen Kochen ausgesucht hat. Anfang des Jahres hat sie ein veganes Café in der Bahnhofstraße eröffnet, das nun Zugezogene und Alteingesessene mit georgischen und ayurvedischen Speisen versorgt. Es liegt in einem großen Neubauriegel, der auch den Charme eines solchen versprüht und die Nordseite des Bahnhofs beleben soll. Weil ihr Haus gerade eine große Baustelle ist, hat sie das Café als Treffpunkt vorgeschlagen, und ich kann mir noch nicht wirklich vorstellen, wie hier mitten im Bahnhofsviertel in einer Art Geschäftsraum eine intime Gesprächssituation entstehen soll.
Als Erstes sehen die Fotografin Inga und ich Maias Tante Natia, die in selbst genähtem Arbeitskittel und bunten Plüschpantoffeln gerade noch den Boden blank wischt – sie ist für drei Monate in Deutschland und hilft mit dem Bistro. Dann kommt Maia mit Schneidebrettern und Schüsseln aus der Küche und stellt alles auf zwei zusammengeschobenen Tischen ab. Der Gastraum ist hell und modern eingerichtet. Es gibt wenig Privates, außer einem Relief von Georg, dem Drachentöter, nichts, das irgendwie auf Georgien verweist.
Doch da sind das arg zerfledderte georgische Kochbuch, das Maia vor sich auf den Tisch legt, und die Erinnerungen an früher, die sich beim Zubereiten des Essens fast automatisch einzustellen scheinen. „Wir kochen heute Adjabsandali“, sagt sie und zeigt auf eine Kochbuchseite mit georgischen Schriftzeichen. Ein Eintopf mit Auberginen, Paprika, Zwiebeln, Kartoffeln und Tomaten. Ein typisches „Arme-Leute-Gericht“ aus einem Leben, in dem man sich sein Essen noch mühsam selbst anbauen musste. Jedenfalls erinnert sich Maia an eine Kindheit, in der höchstens einmal die Woche Fleisch auf den Tisch kam und die Zutaten nicht aus dem Supermarkt, sondern wenn möglich aus dem eigenen Garten.
Eine Kuh namens „Schönheit“
Ich fische eine gut gewässerte Zwiebel aus einer Emailleschüssel, die Tante schneidet Paprika, Maia nimmt sich die Auberginen vor. „Die verbinde ich ganz stark mit meiner Oma. Die Gegend, in der sie lebte, war ganz flach und über und über mit Steinen bedeckt“, sagt sie. Das Einzige, was man der Geröllwüste abtrotzen konnte, war dieses Gemüse.
Als Maia Petersilie, Basilikum, Dill und andere Kräuter schneidet, legt sich der Geruch frischer Kräuter intensiv über den Tisch. „Dieser Duft erinnert mich sofort an das Dorf, in dem meine anderen Großeltern gelebt haben“, sagt sie.
Sie selbst wohnte mit ihren Eltern und Schwestern in Kutaissi, der drittgrößten Stadt des Landes. Die langen Sommerferien verbrachten sie regelmäßig bei ihrem Opa, der in einem Bergdorf in der Nähe lebte. Dort gab es ein Plumpsklo neben dem Haus, frische Kräuter im Garten, eine Quelle zum Wasserholen und ein paar Kühe, die morgens auf die Weide und abends wieder nach Hause getrieben werden mussten. „Wir haben es geliebt“, sagt Maia und ihre Augen leuchten. Ihre Lieblingskuh hieß „Schönheit“. Milch und Käse von ihr schmeckten so gut wie von keiner anderen Kuh. Erst im stolzen Alter von 24 Jahren ist sie an Altersschwäche gestorben.
Wenn Maia Kubis von Georgien erzählt, dann fast immer in den wärmsten Tönen: von der Gastfreundschaft, dem familiären Zusammenhalt, der Schönheit der Natur, von der Herzlichkeit und dem Humor der Menschen. Trotzdem wollte sie weg, weil sie mit ihrer Dickköpfigkeit in der traditionellen georgischen Gesellschaft immer wieder an Grenzen stieß. Ihre Eltern sind Mitglieder der Georgischen Orthodoxen Kirche. Maia hat die große Bedeutung von Religion nie wirklich eingeleuchtet. Genauso wenig wie das starre Respektverhältnis zwischen älteren und jüngeren Generationen.
Sie wollte das neue Leben hier unbedingt
Kurz nach ihrer Ankunft in Berlin sieht Maia auf der Love-Parade Hunderttausende halbnackte Raver zu lauter Musik durch die Straßen tanzen. In den Supermärkten wundert sie sich über die riesigen wurmfreien Äpfel, die alle exakt gleich aussehen. „Das war ein ziemlicher Kulturschock“, sagt sie und lacht. Aber es war eben auch befreiend. „Ich habe von Anfang an gewusst, dass ich hier mehr Möglichkeiten habe, freier sprechen und denken kann“, sagt sie. Um besser Deutsch zu lernen, quält sie sich durch „Harry Potter“. Weil sie etwas Sinnvolles tun möchte, studiert sie Sozialwissenschaften und stellt ihre Ernährung auf vegan und „unbehandelt“ um, weil sie mit dem Verzicht auf tierische Produkte und raffinierten Zucker ihre Konzentrationsschwierigkeiten im Studium in den Griff bekommt.
Das Gemüse schmort mittlerweile im Topf, die frisch geschälten Tomaten machen das Ganze schön saftig. Maia gibt die frischen Kräuter und eine große Prise gemahlenen Koriander dazu und rührt kräftig um.
Während wir zusammen den Tisch decken, erzählt sie von einer deutschen Freundin, die gerade keine Arbeit hat und auch nicht wirklich daran glaubt, dass sich daran bald etwas ändern wird. „Wie kann es sein, dass ich für mich in Deutschland so viele Möglichkeiten sehe und sie nicht?“, fragt sie sich. Maia selbst wollte das neue Leben hier unbedingt. Ihre Freundin dagegen leidet noch immer unter der Post-Wende-Depression, die viele Familien in Ostdeutschland bis heute fest im Griff hält. Die Trennlinien einer Gesellschaft verlaufen also nicht unbedingt zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen. Wer die entsprechenden Voraussetzungen wie Bildung, familiäre Vorbilder und finanzielle Ressourcen mitbringt, wird immer etwas leichter seinen Platz finden.
Das Essen ist fertig. Das Adjabsandali steht dampfend auf dem Tisch, daneben zwei Salate, einer nach traditionellem Rezept mit Kartoffeln und Erbsen – und veganer Mayonnaise. Dazu gibt es Wasser und georgischen Wein.
Der Tischmeister bestimmt über die Menge des Alkohols
Die Tischregeln sind sympathisch ungezwungen: Vorspeise und Hauptgericht werden vom gleichen Teller gegessen, jeder bedient sich selbst. Beim Trinken gelten strengere Regeln. Vor jedem größeren Essen wird der Tamada ernannt, eine Art Tischmeister, der den Rhythmus beim Trinken vorgibt und Toasts ausbringt. Nach einigem Überlegen meint die Tante, ich könne der Tamada sein. Die georgische Gesellschaft ist diesbezüglich etwas konservativ, Tischmeister ist immer ein Mann. Als ich die Weingläser fülle und mich für das köstliche Essen bedanke, muss die Tante trotzdem herzhaft lachen, weil ich dem Ideal des ehrenvollen Patriarchen dann doch nicht ganz entspreche.
Maia serviert noch eine vegane Tarte aus Kokosflocken, Orangenschale, ein paar Geheimzutaten und einem Topping aus Sonnenblumenkern-Creme. Und spätestens jetzt begreife ich ihre Kochkunst als Gesamtwerk, in dem die Einflüsse aus Georgien und Deutschland sich gegenseitig bereichern. Die traditionelle georgische Küche – mit natürlich gewachsenen Zutaten wie aus den Dörfern der Großeltern – bilden dabei die emotionale Basis für alles Weitere. In Deutschland hat Maia die Freiheit gefunden, neue Elemente hinzuzufügen, konsequent vegan zu kochen und mit neuen Zutaten wie Algen oder Chiasamen zu experimentieren. Das traditionell Georgische wird durch die Mischung etwas moderner, der deutsche Anteil mit all den Möglichkeiten einer Hochleistungslandwirtschaft etwas dörflicher. Für genormte, seelenlose Riesenäpfel aus dem Supermarkt hat Maia jedenfalls keine Verwendung. Lieber kauft sie bei einer regionalen Initiative ein, die regelmäßig von Kleingärtnern der Umgebung beliefert wird.
Vielleicht braucht es deshalb an den Wänden keine Poster von georgischen Landschaften oder andere private Erinnerungsstücke. Ihre Geschichte, das, was sie ausmacht – es steckt alles im Essen selbst.
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