David Häußer (2019). Foto: Juliette Moarbes
David Häußer (2019). Foto: Juliette Moarbes

Wenn wir anfangen, gibt es Hoffnung

Es gibt viele gute Gründe, angesichts nationaler und globaler Herausforderungen die Hoffnung zu verlieren. Aber noch mehr Gründe, um sie zu bewahren. David Häußer schreibt über ein Gefühl, das ihn antreibt.

Von David Häußer, 02.07.2019

Natürlich habe ich Hoffnung. Sonst würde ich gar nichts mehr tun. Die Hoffnung auf Besserung treibt mich an. Wer sich ein wenig umschaut und nicht gerade alle Energie in Verdrängung steckt, bekommt genug Anlässe, traurig, wütend, hilflos oder verzweifelt über die Lage der Welt zu sein. Ein paar Blicke in die Nachrichten, Geschichtsbücher oder Museen reichen, um ein breites Panorama an Grausamkeiten aufgereiht zu sehen. Auch die Prognosen zur Klimakatastrophe machen nicht gerade Mut. Und dennoch habe ich Hoffnung. Die hat nur auch eine Bedingung.

Ich weiß, dass wir das Leben feiern, schützen und im Zweifel auch retten können. Ich habe es unzählige Male selbst erlebt. Wir können rücksichtsvoll, solidarisch und hilfsbereit sein. Wir können zuhören und lernen, wir können uns beobachten, analysieren, verstehen und dann auch verändern. Wir können teilen. Wir können Diktaturen stürzen und uns von diskriminierenden Geschlechterrollen befreien. Wir können Flugmaschinen bauen und lasergestützte Operationen mit Kameras im Körperinneren durchführen. Wir können Donauwellen backen! Die Menschheit kann Erstaunliches vollbringen.

Es war kein leichter Weg vom ungemütlichen Gasball ohne Wasseranschluss bis ins Jahr 2019. Aber er wurde begangen, bis hierher haben wir es also schon einmal geschafft. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass da noch mehr geht. 
Hoffnung ist eine optimistische Wette auf die Zukunft. Die Jugend von Fridays For Future bringt den Gedanken jeden Freitag zehntausendfach auf die Straße.

In den letzten Jahren sind positive Visionen und utopische Perspektiven jedoch immer stärker verblasst. Sie spielen kaum noch eine Rolle in unserem Denken. Wenn überhaupt, nehmen apokalyptische Dystopien an Fahrt auf. Ich glaube aber, dass es ein Fehler ist, sich nur defensiv auf eine düstere Zukunft einzustellen. Vielmehr brauchen wir die aktive Arbeit an positiven Entwürfen, konstruktiven Perspektiven für alle Menschen und ein gemeinsames Ziel, das wir anstreben. Ich nenne es: die Gesellschaft der Vielen.

Eine Gesellschaft, in der nicht mehr eine einzige Art von bürgerlicher, männlicher, heterosexueller, meist weißer Normalität dominiert. Sondern in der die tatsächliche Wertschätzung und Anerkennung von Vielfalt Realität wird. Demokratie ganz in echt, nicht nur als Behauptung in Integrationskursen. Ein WIR, das tatsächlich auch alle Menschen meint. Ein freundliches WIR, das weiterhin ein ICH und ein DU erlaubt, die sich nicht der Gruppe unterwerfen müssen. Weil wir Individuen bleiben und dabei trotzdem nicht vereinsamen. Einzeln und frei wie ein Baum, aber geborgen im Wald, wie Nâzım Hikmet sagte.

Das ist der einfache Teil.

Hoffnung, Liebe and Happiness sind derzeit beliebte Themen. Sie tun niemandem weh, lächeln höflich und eignen sich prima zum Verkauf von Parfüm und Schokolade. Das reicht aber nicht, daher kommt jetzt der schwierigere Teil. Der Teil, in dem Hoffnung nicht als PR-Eskapismus verstanden wird, sondern in dem ihr eine Basis verliehen wird. Der Teil, in dem es darum geht, dass wir die Dinge wirklich verändern, anstatt höflich um sie herumzuschleichen. In dem Auseinandersetzungen nicht mehr als Störung des Friedens verstanden werden, sondern als potenziell fruchtbarer Auftakt von Erkenntnissen.

Im relativ stabilen Deutschland besteht die Arbeit vor allem darin, genügend Menschen davon zu überzeugen, dass sich Dinge grundlegend ändern müssen, aber eben auch ändern können. Wenn sich nichts ändert an unserer Art zu konsumieren, zu wirtschaften und miteinander umzugehen, war es das früher oder später.

Wenn im noch immer relativ reichen Europa der letzten Jahre schon bei zwei bis drei Millionen Geflüchteten reihenweise Länder gefährlich weit nach rechts abrutschen, was wird dann erst passieren, wenn drei Milliarden Menschen nicht mehr an ihren Geburtsorten leben können, weil dort fünfzig Grad im Schatten herrschen? Um angesichts dieser Aussichten nicht in Schockstarre zu verharren und stattdessen positive Visionen für die Zukunft zu entwickeln, brauchen wir zuallererst einen Abgleich unseres Selbstbilds mit der Realität.

Demokratie ist prima, aber nicht alle in Deutschland haben bisher wirklich umfassend etwas davon, die Realität hinkt der Ideenwelt des Grundgesetzes oft hinterher. Es gibt immer noch auf allen Ebenen Sexismus, Rassismus und etliche weitere Formen der Diskriminierung. Das kapitalistische Konzept des unendlichen Wachstumszwangs frisst unsere Ressourcen auf,

zerstört unsere Lebensgrundlagen, und nur ein winziger Bruchteil der Menschen profitiert davon. Hoffnung kann es in dieser für so viele Menschen bereits furchtbaren Situation nur geben, wenn wir den aktuellen Machtverhältnissen etwas entgegensetzen. Wir alle gemeinsam, mit unseren Bedürfnissen, individuellen Perspektiven und Lebenswegen. Wir sind nicht die Ersten, die das versuchen. Aber damit wir nicht die Letzten sein werden, müssen wir ein paar Schippen drauflegen.

Wir müssen anfangen, uns in Frieden und Solidarität zu organisieren, einen Raum für Austausch schaffen und gemeinsame Probleme angehen. Das kann lange dauern, aber auch die Kulturtechniken der Sklaverei oder des Feudalismus waren irgendwann kein allumfassender Konsens mehr. Noch immer gibt es zu viele Formen struktureller Gewalt. Wir werden das Beste in uns abrufen müssen, um das zu ändern. Aber das Beste in uns ist eben auch längst da. Wir sind da, wir sind sehr viele, und wir sind fähig, zur Gesellschaft der Vielen aufzubrechen. Also lasst es uns tun, dann gibt es auch Hoffnung.

Im Juli geht es bei WIR MACHEN DAS um das Thema Hoffnung. Die deutsch-indische Schriftstellerin Saskya Jain berichtet von der Hoffnungen, die junge Inder*innen in Berlin selbst nach den letzten Wahlen in ihrer Heimat nicht verlieren. Tanja Tabarra hat zwei ägyptische Wissenschaftlerinnen interviewt, die in Kunstprojekten in Berlin das Ankommen in Deutschland reflektieren. Und die Journalistin Wafaa Albadry schreibt über die Frage, wie man geflüchtete Frauen auf dem deutschen Arbeitsmarkt besser unterstützen könnte. Viel Spaß beim Lesen! Ihre Redaktion.

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