Streitbarer Koriander und die syrische Revolution

Bei der Zubereitung des syrischen Gerichts „Bohnen in Olivenöl“ spricht Ghaydaa Q. über das gespaltene Verhältnis der Syrer zu Koriander, über ihren Weg von Österreich, über Chemnitz nach Berlin und über die gemeinnützige Initiative „Adopt a Revolution“.

Fotos von Hannah Newbery

Von Cosima M. Grohmann, 14.03.2019

An einem gewöhnlichen Dienstagmittag steige ich auf mein Fahrrad, um vom Friedrichshain zum Neuköllner Büro der Initiative „Adopt a Revolution“ zu fahren. Für „Wir kochen das“ habe ich ein Blinddate zum gemeinsamen Kochen mit Ghaydaa, einer Mitarbeiterin der Organisation. Mein Weg führt vorbei am Landwehrkanal durch den Schlesischen Busch, in dem sich gerade einige Dealer lautstark streiten. Vorbei am alternativen Wagendorf Lohmühle, wo bunte Eimer an Ästen in den Büschen hängen. Und vorbei an vollen Spielplätzen, auf denen Kinder fröhlich in der frischen Februarsonne herumkrakeelen. Berlin, in seiner vielzitierten Vielfalt.

In Gedanken bin ich allerdings schon in einer ganz anderen Stadt, in einem ganz anderen Land, weit über die Alpen, übers Mittelmeer, über die Grenzen des Libanons: Damaskus, Syrien. Ich gebe zu, ich bin nicht ganz locker, wie ich da in die Pedalen trete.  Ich gehe nochmal alle Infos durch, die ich mir in den letzten Tagen angeeignet habe: „Adopt a Revolution“ ist eine unabhängige Initiative, die es sich seit 2011 – dem Beginn der syrischen Revolution – zur Aufgabe gemacht hat, in Deutschland über das Leben der syrischen Zivilgesellschaft zu berichten.

Die zehn Mitarbeiter*innen in Berlin wollen den Fokus umlenken, vom militärisch geprägten Narrativ westlicher Medien und Gesellschaften hin zu einer Erzählung, die von Syrerinnen und Syrern als politisch handelnden und aktiven Menschen berichtet. Von Menschen, die in ihrer Heimat mit zivilem Ungehorsam und der Übernahme von humanitären Aufgaben versuchen, sich dem Assad-Regime oder den islamischen Milizen entgegenzustellen und die ein Weiterleben in Frieden und Demokratie ermöglichen wollen. Mit den hier eingenommenen Spenden unterstützt „Adopt a Revolution“ diese Menschen finanziell, auch mit Beratung, Öffentlichkeitsarbeit und solidarischem Beistand. Doch ist es überhaupt möglich, sich zum Kochen und Plaudern zu verabreden, wenn soviel Leid, Trauer und Ungerechtigkeit mit am Tisch sitzen? Aber genau darum geht es ja, darum, den Fokus zu verschieben – ich sehe mich also am besten selbst als Versuchsobjekt in dieser Begegnung.

Fleisch steht in Syrien für Gastfreundlichkeit und Wohlstand

Meine Bedenken zerstreuen sich von der Minute, in der ich Ghaydaa die Hand schüttele: „Lass‘ uns gleich anfangen“, schlägt sie vor, „wir haben alle Hunger!“ In der zweckdienlichen Küche des Büros, in dem das rund zehnköpfige Team von „Adopt a Revolution“ arbeitet, liegen Tomaten, Zwiebeln, ein großer Bund Koriander, Knoblauch und tiefgefrorene Bohnen bereit. Zusammen kochen, dazu hätten sie im Team nicht immer Zeit, aber immerhin ein- bis zweimal im Monat komme man in unterschiedlicher Besetzung zum Essen zusammen. Und dann kocht einfach der, der gerade Lust hat und dem etwas einfällt, berichtet Sarah vom Team für Öffentlichkeitsarbeit, die jetzt dazugestoßen ist. Schon entspinnt sich ein fachfrauliches Gespräch zwischen uns dreien: Sollen wir die Tomaten in kleine Stücke schneiden und den Knoblauch hacken? Und was passiert mit den Zwiebeln? „Die übernehme ich“, sagt Ghaydaa lachend und muss sich gleich ein paar Tränen aus dem Gesicht wischen. „Fasolia Bzet ist ein einfaches Alltagsgericht, für das es viele Variationen gibt. Es klingt nach etwas Besonderem, aber eigentlich sind es einfach Bohnen in Olivenöl“, erklärt sie. Doch so einfach ist es natürlich nicht. An dem Essen, erzählt Ghaydaa, würden sich in vielerlei Hinsicht die syrischen Geister spalten: „Manche essen es nur mit Zwiebeln und Knoblauch und für andere gehört unbedingt Fleisch dazu, vor allem wenn Gäste kommen.“

Fleisch sei für viele Syrer immer noch Zeichen von Wohlstand und Gastfreundlichkeit, „in Deutschland dagegen mögen es die meisten am liebsten, wenn ich das Gericht vegan zubereite.“ Während Ghaydaa von den unterschiedlichen Zubereitungsarten berichtet, schnippelt sie weiter. Kochen und Erzählen gleichzeitig, das können nicht alle. Aber Ghaydaa strahlt eine ruhige Ernsthaftigkeit aus. Sie posiert zwischendrin für die Fotografin Hannah und findet danach mühelos zurück zu unserem Thema, das sich einem echten Brennpunkt nähert: dem Koriander. „Nur in Damaskus essen wir das Gericht mit Koriander, im ganzen Rest des Landes wirst du schrägt angeguckt – wie kannst du „Bohnen mit Öl“ nur mit Koriander essen?!“ Der Koriander, wirft Sarah ein, sei doch überall auf der Welt streitbar, entweder die Leute lieben oder hassen ihn – recht hat sie.

Mittlerweile hat Ghaydaa die Zutaten in einen Topf gegeben, der Herd steht in einer Art Nische, in der maximal zwei Personen Platz finden. Es ist gut, dass die Bohnen dort auftauen müssen, um sich dann erst mit dem Ölivenöl vollzusaugen.  Dass die Zwiebeln ganz langsam glasig werden, und dass das Essen dann noch eine Weile köcheln muss. Später kommt noch der vertraute Duft von Knoblauch dazu, der in einem weiteren Topf angebraten und zu den anderen Zutaten gegeben wird. Genau diese Zeit brauchen wir alle, um ebenfalls miteinander warm zu werden. So viele unterschiedliche Biografien in einem Raum, Menschen die sich bis vor einer halben Stunde noch gar nicht kannten, die jetzt über Essen, über Herkunft und Berufe reden, über Sprachen und ja, auch über Damaskus und Syrien. Wenn alles so schnell ginge wie eine Ofenpizza, dann bräuchten wir nicht über kulturelle Unterschiede, Integration und Selbstverwirklichung zu sprechen.

 

Mit „Adopt a Revolution“ nach Berlin

Im Herbst 2012 kam Ghaydaa zum Studieren nach Österreich, Elektroingenieurin wollte sie werden, war dann aber schnell genervt davon, wie wenig Frauen und dementsprechend wenig Chancen es in ihrem Beruf gab. „In der Nähe von Salzburg, wo ich gewohnt habe, hatte ich zwar einen unvergleichbaren Blick auf die Alpen, war aber trotzdem die jüngste und ärmste von allen  in meinem Umfeld “, berichtet sie. Schon in Syrien hatte sie sich einer zivilen Organisation angeschlossen, die sich gegen das Assad-Regime stellte. „Für mich wurde immer klarer, dass ich diese Arbeit auch außerhalb Syriens fortsetzen muss“, erzählt sie. Ihr Weg führte sie nach Chemnitz: „Nicht gerade der Ort, an dem du dich wohlfühlst, wenn du mit Einsamkeit und depressiven Stimmungen kämpfst.“ Am Ende war es die Zusammenarbeit mit „Adopt a Revolution“, die sie nach Berlin brachte. „Für mich der einzige Ort in Deutschland, an dem ich mir gerade vorstellen kann, zu leben“, sagt sie. Ob sie jemals wieder zurück nach Syrien gehen würde, wenn sie könnte? Da wendet Ghaydaa den Blick ab und schaut in den Kochtopf: „Nein“, sagt sie und macht eine Pause, der heiße Dampf steigt ihr ins Gesicht. „Jedenfalls nicht, solange das Assad-Regime an der Macht ist – und das kann noch sehr lange dauern.“ Viele weitere Fragen, schwirren mir durch den Kopf: Wie ist Ghaydaa nach Österreich gelangt? Welchen Status hat sie jetzt? Hat sie Kontakt zu ihren Eltern, von denen sie nur knapp berichtet, dass sie „sehr konservativ“ seien. Fragen, die viel zu persönlich sind, um sie nach einer Stunde Kennenlernzeit zu stellen. Fragen, die zu diesem Zeitpunkt gar nicht wichtig sind.

Stattdessen sitzen wir nun gemeinsam mit den Teamitgliedern am Tisch, genießen die wunderbar saftigen Bohnen in Olivenöl mit – ja, alle greifen zu – Koriander.  Und wir reden natürlich über die Initiative. Die mehr als 20 Projekte in Syrien, das ist den Mitarbeitern von „Adopt a Revolution“ wichtig, seien eigenständig und würden lediglich mit Spendengeldern und Knowhow unterstützt. Mit allen Projekten stünde man in kontinuierlichem Kontakt, verfolge intensiv die Entwicklungen und passe die Umsetzung gemeinsam mit den Partner*innen vor Ort an die jeweilige Lage an. Im Nordosten Syriens etwa setzt sich das PEL Women Center Hasake in der kurdisch geprägten Region für Frauenrechte ein. Momentan liegt der Schwerpunkt auf dem Thema Kinderehen: In der Region werden nach wie vor sehr junge Mädchen verheiratet. Das Zentrum klärt über die desaströsen Folgen auf und schult Multiplikator*innen, wie Kinderehen verhindert werden können. Ebenfalls in Nordsyrien schaffen die Aktivist*innen   des Mandela House in Qamishli einen Dialog zwischen den vielen verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen. Sie führen Veranstaltungsreihen durch, zeigen Filme und geben Workshops. Während der Kommunalwahlen organisierten sie Wahlbeobachter*innen; für eine Kampagne gegen Gewalt an Frauen zogen sie durch die umliegenden Dörfer.

Im Berliner Team ist Ghaydaa die einzige Syrerin. Die emotionale Belastung sei einfach so hoch, dass bereits einige syrische Mitarbeiter*innen wieder aufhören mussten, berichtet das Team beim Essen. Das übrigens schnell verputzt ist. Eine kleine Portion für einen Kollegen, der noch am Computer sitzt, wird zurückgehalten, der Rest ist in nicht mal einer Viertelstunde leergegessen. Ghaydaa und ich rauchen noch eine Zigarette zusammen und umarmen uns spontan – dann geht sie wieder zurück ins Büro, das nächste Treffen mit Laptop auf dem Schoß steht an. Auf dem Rückweg denke ich noch darüber nach, was Ghaydaa auf die Frage geantwortet hatte, welche Variante des Gerichts sie persönlich am liebsten mag – strenge Veganerin ist sie nämlich nicht. „Ich mixe einfach alles zusammen!“ – eine gute Antwort, wie ich finde, und die beste für ein Leben in Berlin.

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