Die Ministerin kocht

Özlem Özgül Dündar schreibt Theaterstücke, Gedichte und Essays, übersetzt aus dem Türkischen und ist Mitglied des Ministeriums für Mitgefühl. Darüber, wie sie sich zwischen Sprachen und Küchenkulturen bewegt, wie sie die politische Situation in Deutschland bewertet und über die Kochtöpfe ihrer Mutter spricht sie beim Essen mit ihrer Freundin – der Schriftstellerin Ronya Othmann.

Fotos von Jasmin Zwick

Von Ronya Othmann, 11.01.2019

 

Foto: Jasmin Zwick Wir kochen das Leipzig

Wir treffen uns in Özlems WG-Küche in Leipzig. Das Licht an diesem Montagmorgen ist grau und es regnet. Auf dem Küchentisch liegen Tomaten, Zucchini, Kartoffeln, Karotten, Zwiebeln, Knoblauch, Auberginen und Paprika. „So viel!“, sage ich. „Immer die Angst, dass es am Ende nicht für alle reicht“, sagt Özlem und lacht. Wir machen İmam Bayıldı, gefüllte Auberginen und Zucchini. Es ist ein Gericht, das Özlem oft kocht, wenn Gäste kommen; weil es ihr schmeckt und weil sie es gut hinkriegt. Außerdem erinnert es sie an zu Hause.

Foto: Jasmin Zwick Wir kochen das Leipzig

İmam Bayıldı ist die vegane Variante von Karnıyarık, bei dem die Füllung aus Hackfleisch besteht. Özlem hat sich für eine Gemüsefüllung entschieden, weil sie nicht wusste, ob die Fotografin Fleisch isst. Karnıyarık hat auch Özlems Mutter oft gekocht, Özlem hat ihr dabei oft zugesehen. Deshalb kennt sie das Gericht gut, das in der türkischen und kurdischen Küche häufig zubereitet wird. Wie ihre Mutter kocht Özlem nicht nach Rezept, sondern nach Gefühl. Sie probiert aus, wandelt ab – es geht ihr nicht um Perfektion. İmam Bayıldı hat sie kennengelernt, als sie vor ein paar Jahren in einem Pariser Restaurant als Kellnerin und Küchenhilfe jobbte. Doch irgendwie – sie lacht – schmecke ihr Essen am Ende doch immer wie das ihrer Mutter.

Foto: Jasmin Zwick Wir kochen das Leipzig

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Bevor Özlem nach Leipzig zog, arbeitete sie an ihrer Doktorarbeit in Komparatistik. Erst als sie merkte, dass das Literarische sie eher interessierte, brach sie die Promotion ab und bewarb sich am Deutschen Literaturinstitut. Dort haben wir uns kennengelernt und angefreundet. Wir wohnten damals nur fünf Minuten voneinander entfernt, auch ich war neu in der Stadt. Zusammen gingen wir auf Partys, zu Lesungen, in Seminare und drei Monate später auf unsere erste Demonstration. Es war ein Montag im Januar, LEGIDA hatte einen patriotischen Abendspaziergang durch Leipzig angekündigt – der Auftakt von etwas, das uns die folgenden Monate noch öfter auf die Straße treiben sollte. Vielleicht auch von etwas, das uns noch lange beschäftigen wird: dem Aufstieg der neuen Rechten.

Foto: Jasmin Zwick Wir kochen das Leipzig

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Özlem legt Schneidebretter und Messer raus. Wir waschen das Gemüse, schälen die Kartoffeln, schneiden Zwiebeln und Knoblauch klein. Sie holt ihre doppelstöckige Teekanne hervor, füllt den unteren Kannenbauch mit kochendem Wasser, den oberen auch und legt Teeblätter für den Sud dazu. Wir vierteln die Kartoffeln. Ich schneide Karotten und Paprika klein. Özlem nimmt eine Pfanne, gibt Öl hinein, brät die Zwiebeln an, gibt das restliche Gemüse hinzu. Und dabei erinnert sie sich.

Foto: Jasmin Zwick Wir kochen das Leipzig

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Als 1993 fünf Menschen bei einem rassistischen Brandanschlag starben und 17 weitere teils bleibende Verletzungen erlitten, war Özlem zehn Jahre alt und lebte mit ihrer Familie in Solingen. Sie kann sich gut an die Zeit erinnern, als die Leute in ihrem Umfeld über den Anschlag sprachen. Ein Text, den sie darüber geschrieben hat, hieß ursprünglich „türkenfeuer“. in Klagenfurt änderte Özlem den Titel. Nicht weil sie ihn schlecht fand, sondern aus Angst davor, wieder mal nur auf das Türkische reduziert und in eine Schublade gesteckt zu werden. Das passiert ihr oft. Schon damals in den Seminaren am Literaturinstitut, später dann, als ihr erster Gedichtband erschien.

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Özlem ist türkische Staatsbürgerin, doch sie ist in Solingen geboren und bilingual aufgewachsen. Und sie schreibt auf Deutsch. Trotzdem meinen viele immer wieder, das Türkische in ihren Texten auszumachen. Özlem hat immer wieder dagegen angeschrieben. In „ich pflücke mir“ oder „mein kanakengesicht“, wo sie davon erzählt, dass sie mit dem Gedanken gespielt hat, sich ein Pseudonym zuzulegen. „Eines, das möglichst wenig türkisch klingt, das keine Rückschlüsse auf meinen ‚Hintergrund‘ liefert, das am besten noch verschleiert, dass ich eine Frau bin.“ Özlem glaubt nicht an Schubladen. Schon gar nicht in der Literatur.

Foto: Jasmin Zwick Wir kochen das Leipzig

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Wir halbieren die Auberginen und Zucchini der Länge nach und nehmen das Fruchtfleisch heraus, sodass beide Gemüsesorten aussehen wie kleine Boote. Wir geben sie in die Pfanne und braten sie an. Dann füllen wir sie mit dem Gemüse-Gemisch und setzen sie auf ein Backblech. Ich stecke Kartoffelstückchen und halbierte Zwiebeln dazwischen. Özlem rührt eine Soße an, gießt sie über das Blech, und die gefüllten Auberginen und Zucchini schwimmen darin. Jetzt heißt es warten.

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Wir warten in Özlems Zimmer, das voller Bücher ist. Im Regal, auf dem Schreibtisch, in Stapeln neben dem Bett. Sie holt die Lyrikbände, die sie aus dem Türkischen übersetzt hat, hervor: Lalê Müldür, Izzet Yasar, Hilmi Yavuz. Derzeit übersetzt sie die Gedichte von Haydar Ergülen, eine sehr intensive Arbeit. Während Özlem übersetzt, schreibt sie keine eigenen Texte. „Dann bewege ich mich in der lyrischen Sprache der anderen Autor*innen“, sagt sie. „In diesen Momenten ist das Türkische viel präsenter als das Deutsche.“

Der Wecker klingelt, und das Essen ist fertig. In der Küche setzen wir uns an den Tisch mit dampfendem Gemüse, es schmeckt köstlich. „İmam Bayıldı, eigentlich ein merkwürdiger Name für das Essen“, sagt Özlem. Übersetzt heißt es: „Der Imam fiel in Ohnmacht“. Aber warum fiel der Imam in Ohnmacht? Da ist das Essen schon fast wieder Literatur. „In Kriegszeiten sparen die Leute und bewahren ihr Essen in Speisekammern auf“, erzählt Özlem. „Auch der Imam aus der Geschichte, seine Kammer ist sogar außergewöhnlich voll. Irgendwann fragt ihn seine Frau, warum sie immer das Gleiche essen, die Kammer sei doch voll. Doch der Imam antwortet nicht. Da verteilt die Frau eines Tages das ganze Essen aus der Kammer an die Nachbar*innen und macht aus den Resten dieses Essen. Als der Imam nach Hause kommt, schmeckt es ihm sehr. Aber als er in die Kammer geht und sie leer sieht, fällt er in Ohnmacht.“

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Nach dem Essen gießt Özlem Çay in unsere Gläser und holt Baklava hervor. Wir sitzen am Küchentisch und sprechen über die neuen Rechten. „Landtagswahl in Sachsen 2019“, werfe ich als Stichwort hin. Umfragen zufolge könnte die AfD bis zu 25 Prozent bekommen. „Was machen wir dann? Bleibst du?“ „Das ich habe mich auch gefragt“, sagt Özlem. „Mit meinem Pass käme für mich nur die Türkei als Alternative infrage. Aber was ist das kleinere Übel: Deutschland oder die Türkei?“ Özlem schweigt, dann sagt sie: „Man könnte in irgendeine Blase fliehen – Köln, Berlin, Istanbul. Aber, wenn man nichts tut, sind auch die Blasen irgendwann zerplatzt.“

Aufgeben ist also keine Option. Schon deshalb hat Özlem vor Kurzem das Ministerium für Mitgefühl mit gegründet. Das Autor*innen- und Künstler*innen-Kollektiv teilt die Überzeugung, dass man durch Literatur Empathie erlernen kann. „Autor*innen haben andere Mittel als Journalist*innen oder Politiker*innen“, sagt Özlem. „Sie können mit einer anderen Sprache reagieren und neue Themen setzen, können Menschen in einer Komplexität darstellen, wie es nur die Literatur vermag.“ Es ist spät geworden, wie es immer spät wird, wenn man sich mit einer guten Freundin zum Essen trifft. Ich trinke meinen Çay aus, ziehe Jacke und Schuhe an. Wir umarmen uns zum Abschied. Bis bald.

Foto: Jasmin Zwick Wir kochen das Leipzig

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