Mein Deutsch ist ein bisschen schlecht

„Mein Deutsch ist ein bisschen schlecht“ ist eine Fotoserie von Christian Demarco, die Alltagsbeobachtungen aus dem Berliner Straßenleben zeigt – und über das Fremdsein erzählt.

Von Maritta Iseler, 14.01.2019

Christian Demarco kam 2009 aus Santiago de Chile nach Berlin. Seine Fotografien aus den Jahren 2009–2013 sind sehr persönliche Beobachtungen, die er gemacht hat, bevor er sich hier mit Worten verständigen konnte. Als „Flaneur“ streifte Demarco durch Berlin, um die Einwohner*innen der Stadt durch die Kamera verstehen zu lernen. Die Straße wurde dabei für ihn zur Bühne und zur Sprachschule.

Deine Fotoserie Deine Fotoserie „Mein Deutsch ist ein bisschen schlecht“ ist ein persönlicher Blick auf Berlin. Wie hast du dich gefühlt, als du nach Deutschland kamst und kein Wort verstanden hast – und wie drückt sich das fotografisch aus?

Das hat mich sehr frustriert, es war schwierig. Aber gleichzeitig fühlte ich mich auch befreit. Ich verstand nichts und es war mir egal, was mir die Leute sagten oder ob es bestimmte soziale Regeln gab. Ich wollte einfach nur rausgehen, beobachten und Fotos machen. Das Ergebnis sind Fotografien, die auf mich bezogen sind, sie zeigen eine autoreflexive Dimension, die die Worte ersetzt.

Du schreibst, dass deine Bilder das Resultat eines methodischen Schlenderns durch die Stadt sind. Kannst du das erklären? Und wie haben die Menschen auf dich mit deiner Kamera reagiert?
Ich habe meine eigene Routine entwickelt. Damals arbeitete ich in einer Grundschule und bevor ich zur Arbeit ging, machte ich Spaziergänge durch Neukölln, meine Nachbarschaft. In den Pausen lief ich durch Charlottenburg, wo die Schule liegt. Ich war hungrig nach Fotos. Damals veröffentlichte ich zusammen mit anderen Fotograf*innen der Ostkreuzschule auch eine Fotokolumne über Berlin im „Zitty“-Magazin. Ich war die ganze Zeit auf der Suche nach neuen Stadtteilen und sobald ich interessante Orte fand, besuchte ich sie eine Zeit lang. Viele der Fotos des „Mein Deutsch ist ein bisschen schlecht“-Projekts wurden im Magazin veröffentlicht. Damals versuchte ich, schnell zu fotografieren und schnell von Ort zu Ort zu laufen. Ich gab den Menschen nicht viel Zeit, um zu reagieren. Weil ich wenig verstand und keine Lust hatte zu reden.

Was bedeutet Fotografie für dich? Was lässt sich mit der Kamera ausdrücken, wenn man die Sprache eines neuen Ortes noch nicht beherrscht, keine Worte findet?
Fotografie hat für mich viel mit „rausgehen und beobachten“ zu tun. In welcher Stadt ich bin, ist nicht so wichtig. Wenn ich auf der Straße fotografiere, versuche ich, mich mit bestimmten, universellen Emotionen zu verbinden. Und wenn ich andere Menschen beobachte, verstehe ich mich selbst ein bisschen besser. Ich erkenne mich in bestimmten Gesten, die ich sehe, wieder. Jemand, der weint, ein Kuss, ein Abschied. Ich fotografiere auch gerne auf der Straße, weil es ein öffentlicher Ort ist. Dort bist du von Menschen umgeben, aber gleichzeitig allein, frei. Du kannst machen, was du willst, in deinem eigenen Tempo und es interessiert niemanden. Es ist mehr als ein physischer Ort, es ist ein Ort in dir selbst.

Hat sich dein Blick auf Berlin heute, wo du die Sprache kannst, verändert?
Ja, natürlich, jetzt verstehe ich die Berliner*innen etwas besser, und das hat auch mein Verhalten verändert, ich bin heute weniger konfrontativ, höflicher. Ich habe meine große Kamera und ihr auffälliges Objektiv gegen eine kleine ausgetauscht: Sie ist diskreter, analog. Jetzt gehe ich langsamer und unterhalte mich mit den Menschen.

Aber auch die Stadt hat sich sehr verändert. Es gibt neue Bewohner*innen, neue Gebäude, die Punks sind weg, Hipster und Geflüchtete sind angekommen. Berlin sieht anders aus als vor acht Jahren. Die Gentrifizierung hat die Nachbarschaften verändert, zum Guten und auch zum Schlechten. Orte, an denen vorher nichts passiert ist, sind jetzt interessant. Diese ständige Veränderung hält die Stadt frisch, immer interessant. Als Fotograf versuche ich, diesem Rhythmus zu folgen.

Christian Demarco ist ein Fotograf, der sich für zeitgenössisch soziale und städtische Themen interessiert und der daran glaubt, dass die Fotografie ein Weg des Selbstausdrucks durch Bilder und persönliche Erzählungen ist. Er ist in Santiago de Chile geboren und lebt derzeit in Berlin.

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