Atifah Mansoori. Foto: Heike Steinweg
Atifah Mansoori. Foto: Heike Steinweg

Zwischen Bangen und Hoffen

Atifah Mansoori und ihr Ringen von Herat bis Berlin. Ein Artikel aus unserem Projekt „Wir sind viele. Geschich­­ten aus der Einwanderungsgesell­schaft“

Von Mariam Meetra, 26.10.2018

Atifah Mansoori war wie Tausende andere Afghan*innen, die vor Krieg und Unsicherheit flohen, gezwungen, ihr Haus und ihre Arbeit in Afghanistan zu verlassen und in Deutschland Asyl zu suchen. Sie war in ihrer Heimat eine aktive berufstätige Frau, die nach eigenen Worten darum kämpft, auch hierzulande möglichst rasch eine Lösung zu finden, um ihrer Existenz am Rande der Gesellschaft zu entkommen.

Wir begegneten ihr im Café Spandau. Atifah erwartete uns mit ihrem Sohn in der Nähe des Bahnhofs. Nach der Begrüßung gingen wir zum erwähnten Café, wo wir über ihr Leben und ihre Aktivitäten sprachen.

Atifah lebt seit einem Jahr mit ihrem Sohn in Berlin, hat aber noch keine Antwort auf ihren Asylantrag erhalten. Trotz aller Zuversicht hat sie auch ihre Befürchtungen. Die zwangsweise Abschiebung afghanischer Asylsuchender beunruhigt sie wie Tausende andere Betroffene und ängstigt sie vor einer ungewissen Zukunft. Atifah sagt, wenn es nicht vermeidbar gewesen wäre, hätte sie Afghanistan nie verlassen, da sie in der Vergangenheit die Schwierigkeiten der Migration in andere Länder erfahren hätte. Bei unserem Gespräch verwendet sie einen Ausdruck, demzufolge man sich nach dem Übergang in ein Land, dessen Sprache und Kultur man nicht versteht, in einen Schatten an der Wand verwandelt. Ungeachtet aller Probleme, mit denen sie als Flüchtling in Deutschland konfrontiert ist, hat sie ihre Hoffnung und Entschlossenheit nicht aufgegeben und hofft, in der Zukunft hierzulande leben und arbeiten zu können. Sie beschwert sich kaum, sondern berichtet vorwiegend von ihren Bemühungen, ihre Tätigkeiten hier fortzusetzen.

Atifah Mansoori hat wie die meisten Afghaninnen die Bitterkeit von Diskriminierung und Ungleichheit schon früh und seit ihrer Kindheit in der Familie erlebt. Alle Frauen, die in Afghanistan gearbeitet, sich vorherrschenden Traditionen und der Unterdrückung widersetzt und sich aktiv am Gesellschaftsleben beteiligt haben, wissen, wie das Leben in „einem der gefährlichsten Länder der Welt für Frauen“ ist. Atifah Mansoori war ebenfalls mit all diesen Schwierigkeiten konfrontiert; vermutlich hat ihre Auseinandersetzung mit all diesen Problemen und Diskriminierungen sie zu einer starken selbstbewussten Frau werden lassen.

In Afghanistan gründete sie eine Firma für den Anbau und Vertrieb von Safran und erhielt 2015 für die Schaffung von Frauenarbeitsplätzen seitens Deutschland und Frankreich den Preis „Frau des Jahres“.

Atifah lebt seit einem Jahr mit ihrem Sohn in Berlin. Foto: Heike Steinweg
Atifah lebt seit einem Jahr mit ihrem Sohn in Berlin. Foto: Heike Steinweg

Im Laufe des Gesprächs berichtet sie vom Schicksal der Frauen in Afghanistan und den Schwierigkeiten dort als Frau zu leben. Sie erzählt, wie sehr ihre Mutter wegen der Geburt einer Tochter von Angehörigen und Bekannten drangsaliert wurde. Dennoch habe sie selbst nie zugelassen, dass die Diskriminierungen, die sie seit ihrer Kindheit in der afghanischen Gesellschaft ertragen musste, sie in eine zurückgezogen lebende Hausfrau verwandelten. Sie war sogar während der Herrschaft der Taliban, die afghanische Frauen jahrelang ins Haus und die totale Isolation verbannt hatten, nicht untätig, sondern arbeitete als Krankenschwester für Frauen. Atifah erwähnt außerdem die bitteren Erfahrungen der Migration nach Iran und Pakistan, und berichtet, dass das Leben in diesen Ländern für afghanische Migranten so beschwerlich war, dass sie gezwungen war, trotz des Krieges mit ihrer Familie wieder nach Afghanistan zurückzukehren.

Obwohl sie in der Zeit nach den Taliban zu den berufstätigen Frauen gehörte und positive Entwicklungen im Leben afghanischer Frauen beobachten konnte, verschweigt sie auch deren Probleme nicht und stellt fest, dass zu dieser Zeit gezielt gegen Frauenrechte vorgegangen wurde, weswegen keine grundlegenden Veränderungen der Lebensumstände von Frauen stattgefunden hätten. Immer noch hätten Frauen nur beschränkt Zugang zu Gesundheitsversorgung und anderen Existenzgrundlagen, weswegen sich ihre Lebensumstände in den Dörfern oder weit abgelegenen Regionen Afghanistans kaum verändert hätten. Ich nicke ihr zu und bestätige, dass die Verbesserung der Situation von Frauen kein kurzfristiges Projekt ist, sondern der Planung und kontinuierlichen Anstrengung bedarf. Ihre Worte sind mir vertraut. Atifahs Erfahrungen werden von vielen Afghaninnen geteilt, besonders von jenen, die versucht haben, in der Gesellschaft präsent zu sein und für ihre Ziele zu kämpfen.

Atifah erwähnt, dass eines der wichtigsten Hindernisse für den Zugang zur deutschen Gesellschaft derzeit ihre mangelnde Sprachkenntnis ist. Sie bemüht sich jedoch Deutsch zu lernen, um dieses Problem möglichst rasch zu beseitigen. Daneben sucht sie nach einer Möglichkeit, ihre Arbeit in Deutschland fortzusetzen. Sie bekräftigt die Autarkie und finanzielle Unabhängigkeit und beabsichtigt, in Zukunft auch in Deutschland ihre Tätigkeit als aktives Mitglied der Gesellschaft fortzusetzen, um weiterhin wirtschaftlich unabhängig sein zu können. Dabei gehe es nicht nur um ihre eigene Selbstständigkeit, sie denke sogar daran, auch für andere weibliche Flüchtlinge Beschäftigung zu schaffen. Atifah möchte nicht stumm und isoliert leben und nur von der finanziellen Unterstützung abhängig sein, die sie zurzeit vom deutschen Staat erhält. Sie ist auf der Suche nach produktiven Kontakten in der deutschen Gesellschaft. Obwohl ihr bewusst ist, dass ein Neuanfang nach der Migration nicht einfach ist, hofft sie in Deutschland wie früher arbeiten zu können und eine Basis für ihre zukünftige Arbeit zu finden, um der ungewissen Situation zu entkommen, in der sie sich gegenwärtig befindet.

* Übersetzung aus dem Dari: Susanne Baghestani

Der Artikel ist im Rahmen unseres Tandem-Projekts mit dem Titel „Wir sind Viele. Geschichten aus der Einwanderungsgesellschaft“ entstanden und wurde initiiert von Wir machen das.
Das Team für diesen Text bildeten Mariam Meetra und Heike Steinweg.

Mariam Meetra, geboren in Baghlan, Afghanistan, lebt in Berlin. Meetra studierte Journalismus und PR in Kabul. Die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin ist Mitglied des afghanischen PEN. 2013 erschien ihr erster Lyrikband „Leben am Rand“. Auf Deutsch veröffentlichte sie u.a. in DIE HOREN und Tagesspiegel. 

Heike Steinweg ist Fotografin und lebt in Berlin. Vom 09. März bis zum 15. Juli 2018 war ihre Ausstellung „Ich habe mich nicht verabschiedet. Frauen im Exil“ im Museum für Europäische Kulturen in Berlin zu sehen.

 

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