© Laura Breiling
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Wer spielt mit?

Die Reaktionen auf Einschränkungen und Herausforderungen durch die Pandemie sind sehr unterschiedlich. Die Schriftstellerin Dilek Güngör fragt sich, wie Menschen mit Migrationsgeschichte das vergangene Jahr erlebt haben.

Von Dilek Güngör, 19.03.2021

Welche Rolle spielen Grundrechte in unsicheren Zeiten? Darüber wird seit über einem Jahr öffentlich diskutiert. 2020 hat WIR MACHEN DAS die Einstellungen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen erfragt. Unter der Überschrift „Freiheit(en) in unsicheren Zeiten“ wurde ein Fragebogen entwickelt und die Umfrage im Sommer letzten Jahres durchgeführt. Neben Einblicken in die Wahrnehmung von Freiheitsrechten in Krisenzeiten zeigen die Ergebnisse, was für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wichtig ist und woran es teilweise fehlt: Vertrauen. Die Frage nach Vertrauen und Grundrechten griff im Februar 2021 die Veranstaltung „Das Virus ist eine demokratische Zumutung“ auf. Dilek Güngör ist eine der Autor*innen, die das Thema für uns im Magazin reflektieren.

Du darfst nicht mitspielen. Einer der Kindergartensätze, die geblieben sind. Jedes Kind kennt ihn, jedes Kind hat ihn zu anderen gesagt. Auch du hast ihn benutzt. Du darfst nicht mitspielen. Noch immer hallt er in dir nach und zieht einen Schwanz anderer Sätze nach sich: Warum verstehst du kein Deutsch? Dein Haar ist so dunkel und schau mal, du hast ja Härchen auf dem Arm. Du kennst unsere Lieder nicht und was hast du da auf deinem Brot?

Es braucht nur ein einzelnes Kind, das dich vom Spiel ausschließt. Ist niemand da, der ihm widerspricht, niemand von den Großen, der sagt, auch du spielst mit, auch dein Haar ist schön, auch deine Lieder singen wir und wir hören dir zu, dann verhaken sich diese Sätze ineinander. Sie setzen sich in deinem Bauch fest und wachsen fortan mit dir mit. Ist niemand da, der alle zum Spielen zusammenruft, werden diese Worte wahr.

Heute sagt niemand, du dürftest nicht mitspielen. Du bist erwachsen, da darf jeder mitspielen, die Regeln sind für alle gleich, die Chancen auch. Du musst nur wirklich wollen, musst dein Bestes geben. Also gibst du dein Bestes, es will bloß keiner haben. Leider haben wir uns für eine andere Bewerber*in entschieden, die Wohnung an jemand anderen vermietet, wir wünschen Ihnen viel Glück bei der weiteren Suche. Immer ist schon jemand da, war schneller, ist nicht mehr einzuholen, wie der Igel, der nur so tut, als würde er mit dem Hasen um die Wette laufen. Was andere zu geben haben, scheint immer besser zu sein als das, was du zu bieten hast. Es wird an dir liegen, du schiebst die Schuld nicht anderen zu, bei dir ist sie viel besser aufgehoben. Du arrangierst dich mit der Enttäuschung, dem Frust und dem Groll. Du versuchst es erneut, strengst dich richtig an, so richtig. Auf deinen Durchhaltewillen ist Verlass. Ab und an hallt etwas in dir nach, im Magen spürst du ein dumpfes Ziehen, hast vergessen, woher es rührt, es ist längst ein Teil von dir geworden.

Das Offensichtliche erkennst du nicht. Du siehst, wer bei den Spielen der Erwachsenen die Regeln bestimmt. Siehst, wer jetzt während der Pandemie den Laptop in der Küche statt im Büro aufklappt und wer kein Tablet hat fürs Kind, kein ruhiges Eck zum Lernen, keinen Drucker und keine Zeit, bei den Aufgaben zu helfen. Du weißt, in welchen Vierteln deiner Stadt sich der Virus ausbreitet und wo nicht, wem jetzt das Geld knapp wird, wer zu wenig Arbeit hat und wer viel zu viel und trotzdem nicht hinkommt mit dem Geld. Du hörst es jeden Tag in den Nachrichten. Du weißt das alles, schon vor der Pandemie wusstest du’s. Wusstest, wem die Türen verschlossen bleiben, hinter denen die Regeln gemacht werden. Wer hinten in der Küche arbeitet und wer am Tresen, wer vorne an der Tafel steht und wer nach Schulschluss die Treppen wischt. Wer studiert, wer ein Start-up gründet und wer einen Backshop. Wer spricht und wer gehört wird, wessen Ängste ernst genommen und wer zuerst einmal selbst verdächtigt wird, wenn der Sohn im eigenen Laden erschossen wird.

Das Ding in deinem Bauch macht sich bemerkbar. Lange ist es her, dass du den Schmerz so deutlich gespürt hast. Es scheint sich etwas zu lösen. Du fühlst dich betrogen. Deine Wut gegen die, die nicht eingeschritten sind, ist groß. Gegen die Erwachsenen, die hätten wissen müssen, was du nicht wissen konntest, die Erzieher*innen im Kindergarten, die Lehrer*innen in der Schule, früh schon beginnt das Sortieren. Gegen die, die bemerkt haben, dass es immer dieselben drei, vier Kinder in der Gruppe sind, die nicht mitspielen, die niemand dabeihaben will. Gegen die, die nicht hinsehen. Früh werden die Spielregeln von den Großen an die Kleinen weitergegeben. Und deine Wut ist groß gegen jene, die die Regeln so gemacht haben, dass du die Ausnahme bleibst. Bekommst du, was du willst – die Wohnung, die Anstellung, die Ladenfläche, den Studienplatz –, bist du der Beweis, dass es jede*r schaffen kann, giltst als Vorbild und wirst herumgereicht. Gelingt es dir nicht, dann ist es recht so, du sollst es ja nicht schaffen, dafür hat man die Regeln so gemacht. Wer das nicht durchschaut, wird laufen und laufen und laufen und nie begreifen, warum der Igel immer schon da ist.

Größer als die Wut gegen die anderen ist deine Wut gegen dich selbst. Du vergibst dir deine Blindheit nicht.

Schluss damit, du willst deine Wut nicht mehr gegen dich selbst richten. Gerade jetzt, während der Pandemie, kannst du Besseres damit anfangen. Die Wut ist gut, sie gibt dir Kraft, um nicht zu resignieren, dich nicht verbittert abzuwenden. Du willst mitspielen und du wirst mitspielen. Und Du wirst kämpfen um faire Regeln – für alle.

 

 

 

 

 

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