Foto (m): Sebastian Pichler – Shane Rounce / unsplash
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Unser Deo machen wir jetzt selbst

„Be.inspired – Klimaschutz im Richardkiez“ ist ein Projekt des Vereins Yopic in Neukölln und Teil der nationalen Klimaschutzinitiative. Aber welche Rolle spielt Klimaschutz eigentlich auf lokaler Ebene und in migrantischen Communitys? Fragen an die Vorstandsvorsitzende Doris Habermann und die Community-Mittler*innen Mariam Ayad (43), Ricardo Valdivia (37) und Pauline (23).

Von Jenni Roth, 05.12.2019

Klimaschutz im Richardkiez – wie kann man sich das vorstellen?

Habermann: Wir wollen die CO2-Erzeugung im Kiez senken – und zwar mithilfe der gesamten Nachbarschaft. Dafür müssen die Menschen natürlich informiert und geschult werden. Uns geht es darum, dass sie mittelfristig ihr Verhalten ändern, gerade mit Blick auf Recycling, Ressourcenschonung oder Mülltrennung. Und möglichst wenig Fleisch essen.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Habermann: Wir zeigen in Workshops, wie man Kräuterbeete selbst anlegt und pflegt oder Bienenwachstücher als plastikfreie und wiederverwendbare Alternative zur Frischhalte- oder Alufolie nutzt.

Pauline: Unser Ansatz ist: selber machen. Ich zeige den Leuten beispielsweise, wie leicht man aus wenigen Grundzutaten Putzmittel herstellen kann. Ob das jetzt Allzweckreiniger ist, Scheuermittel oder Spülmaschinenpulver. Wir geben so viel Geld für Putzmittel aus und verschmutzen mit der Chemie das Grundwasser. Dabei kann man Kaiser Natron nicht nur zum Backen verwenden, sondern als Basis für Spülmittel und Kosmetika. Die Leute im Kiez sagen oft: Das ist so einfach, ich kauf nie wieder Pulver! Das Gute ist, dass sie die Sachen direkt mit nach Hause nehmen und anwenden können.

… und dann ihren Freund*innen davon erzählen?

Habermann: Ja, genau. Da spielen auch Stadtteilmütter wie Mariam eine wichtige Rolle. Sie können unsere Ideen in die Familien weitertragen. Als Stadtteilmutter und Community-Mittlerin gehen sie direkt zu den Familien in der Nachbarschaft, klären über das Thema auf und bieten Workshops an. Sie übersetzen und beraten Familien nicht deutscher Herkunft. Und motivieren die Kiezbewohner*innen damit zum Mit- und Selbermachen.

Worin besteht bei diesem Projekt die Besonderheit in der Arbeit mit migrantischen Communitys?

Pauline: Man kann nicht sagen, die migrantische Community hier sei mehr oder weniger sensibilisiert. Es ist eher eine Klassenfrage, wie gut man informiert ist. Migrant*innen gehören eben meist nicht zur Elite – und leben trotzdem oft nachhaltiger als viele andere. Die Syrer*innen, mit denen wir zu tun haben, wissen zum Beispiel oft viel mehr über nachhaltigen Anbau als wir. Sie ernähren sich sowieso nachhaltig, vieles andere schmeckt ihnen gar nicht.

Valdivia: In einem Gartenworkshop standen die Berliner Jugendlichen staunend da, als ein syrischer Freund erklärte, dass er Kaffee als Dünger benutze. Von dieser Möglichkeit wusste kaum einer. Was für manche von uns schlicht Öko-Trendthema ist, ist für viele Migrant*innen ganz selbstverständlich.

Ayad: Meine Familie stammt ursprünglich aus dem Libanon. Meine Großeltern, aber auch meine Eltern haben schon sehr nachhaltig gelebt. Meine Mutter hat zum Beispiel immer Flicken auf kaputte Hosen genäht, und Kleidungsstücke wurden natürlich an die jüngeren Geschwister weitergegeben. Leider haben die Medien heute großen Einfluss auf unser Konsumverhalten. Sie suggerieren, dass es cool ist, immer Neues zu kaufen und auf Schnäppchenjagd zu gehen. In meinen Nähworkshops zeige ich deshalb, wie man alte Jeans oder Stoffreste zu Taschen umnähen oder Kleider reparieren kann. Das Nähen und die Workshops kosten nämlich auch nichts – im Gegensatz zur Änderungsschneiderei.

Warum ist Sensibilisierung dann noch nötig?

Habermann: Viele Menschen aus unserem Kiez bringen ihr Verhalten oder ihre Gewohnheiten gar nicht erst mit Klimaschutz in Verbindung. Dabei benehmen sich viele von ihnen vorbildlich, beispielsweise wenn es um das Verwerten von Essensresten geht. Wobei der Grund hier oft Mangel oder Sparsamkeit ist. Deshalb haken wir nach, erklären die Zusammenhänge und versuchen, das Thema auf eine andere Bewusstseinsebene zu bringen.

Wie findet und motiviert ihr Leute, die sonst nicht mit dem Thema Klimaschutz in Berührung kommen?

Pauline: Unsere Stadtteilangebote sind umsonst und draußen. Es ist wichtig, an den Orten präsent zu sein, wo die Kids und Jugendlichen ohnehin abhängen.

Valdivia: Wir gehen auch auf Stadtteilfeste, da kommen die Leute spontan. Und man erreicht Zielgruppen, mit denen man nicht gerechnet hätte. Einmal kam eine Gruppe Halbstarker, die dann unbedingt bei unserem Workshop mitmachen und Deos für ihre Tanten und Mütter herstellen wollten.

Ayad: Oder wir machen ein Umweltquiz für Kinder, für das sie dann eine Belohnung bekommen. Viele von ihnen können mit dem Wort Klimawandel noch gar nichts anfangen. Wir bieten spielerische Einstiege.

Habermann: Ein guter Ansatz sind auch Video-Workshops, damit kriegt man die jungen Leute. Hier im Haus sitzt die Filmschule Film Arche. Wir haben zusammen die Idee entwickelt, mit jedem Workshop auch ein Video zum Klimaschutz zu produzieren.

Kann man nach bald zwei Projektjahren schon eine Entwicklung erkennen?

Habermann: Der Unterschied ist ganz klar sichtbar. Anfangs haben sich von 16 Kursteilnehmer*innen vielleicht drei aktiv beteiligt. Inzwischen hat sich das Verhältnis umgedreht. Da hilft sicher, dass in der Gesellschaft generell das Bewusstsein wächst. Als wir angefangen haben, gab es noch keine Greta Thunberg, und die Teilnehmer*innenzahlen waren dürftig. Mittlerweile kriegen wir immer mehr Anfragen – von den Grünen oder von Firmen, die nach Bienenwachstüchern fragen. Neulich wollte jemand auch einen Workshop für eine Geburtstagsfeier buchen.

Pauline: Das Expert*innenwissen ist bei vielen schon länger da. Aber es hat eine Weile gedauert, bis das Selbermachen zum Trend geworden ist. Diesen Trend sieht man auch an der wachsenden Zahl von Unverpacktläden oder fleischlosen Kochbüchern, die zum Thema erschienen sind. Wir haben auch eines mit Rezepten aus dem Kiez entwickelt.

Valdivia: Weil es inzwischen wirklich auch hier in unserer Nachbarschaft einen viel stärkeren Willen zum Mitmachen gibt. Die Leute wollen etwas bewegen.

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