Foto: Martin Pauer
Foto: Martin Pauer

Trotz aller Schwierigkeiten

In Bergen auf Rügen setzt WIR MACHEN DAS die Veranstaltungsreihe „Meet Your Neighbours“ fort. Im Mittelpunkt der Begegnung in der Stadtbibliothek am Markt steht dieses Mal die interkulturelle Öffnung in der Verwaltung.

Der Fotograf Martin Pauer hat die Veranstaltung für uns dokumentiert.

Von Patrick Kennedy, 10.12.2019

Rund zwanzig Menschen finden sich in dem lichtdurchfluteten Medienzentrum in Bergen zu einem weiteren Berufstalk ein, der heute von der Journalistin Sabine Lilienthal (NDR) moderiert wird. Ihre Gäste sind Natalie Opykhalio, Yucimid Dolezal und Karin Breitenfeld, die ganz unterschiedliche Geschichten über ihr Berufsleben erzählen werden.

Natalie Opykhalio stammt aus der Ukraine und ist studierte IT-Ingenieurin. In der Ukraine hatte sie beim Zollamt gearbeitet, 2014 verließ sie mit ihrem Mann aufgrund der unruhigen Lage das Land und stellte in Deutschland einen Asylantrag. Ihr Studium wurde von den deutschen Behörden zwar anerkannt, beim deutschen Zoll kann sie wegen ihrer fehlenden deutschen Staatsbürgerschaft aber nicht arbeiten.

Neben anfänglichen Sprachschwierigkeiten war vor allem der berufliche Neubeginn schwierig. Ein Job im IT-Bereich kam wegen der sich schnell verändernden Branche vorerst nicht infrage. Daher hat Opykhalio umgesattelt, auf Wirtschaftsfachwirtin. Das Erlernen des neuen Berufs war nicht leicht, dennoch appelliert sie an die Zuhörer*innen, mutig zu sein und sich den Herausforderungen zu stellen. Heute arbeitet sie als Hotelfachangestellte und kümmert sich um die Buchungsvorgänge. Weil sie viel am Rechner sitzt, fehlt ihr der Austausch mit anderen Menschen. Sie würde gerne wieder im Verwaltungsbereich arbeiten. Noch fehlen ihr die Zugangsmöglichkeiten, doch sie versucht es weiter.

Yucimid Dolezal

Yucimid Dolezal stammt aus Kuba und lebt seit 2015 in Stralsund. Sie ist nicht aufgrund einer Landeskrise, sondern der Liebe wegen nach Deutschland gekommen. In ihrer Heimat hat sie Tourismus studiert, hat für Hotels und Restaurants gearbeitet, war Referentin eines kubanischen Künstlers. Doch ihr Studium wurde in Deutschland nicht anerkannt. Daher hat sie bis zum vergangenen Jahr als Kellnerin im Rathaus Café in Stralsund gearbeitet. Aus gesundheitlichen Gründen geht das nun nicht mehr, weswegen sie eine Ausbildung in Bürokommunikation begonnen hat.

Auch Yucimid Dolezal fehlt in ihrer Ausbildung der Kontakt zu Menschen. Doch immerhin erfährt sie hier viel Akzeptanz durch die deutschen Kolleg*innen. Sie hat bereits drei Praktika absolviert, will ein weiteres bei der Stadtverwaltung machen und zukünftig gerne als Fachverwaltungsangestellte arbeiten. Insgesamt aber ist es schwer für sie, sich in ein komplett neues Themenfeld einzuarbeiten, gerade in die deutsche Verwaltungssprache. „Aller Anfang ist schwer“, sagt sie. Man brauche eben den Mut und die Lust, etwas Neues zu erlernen.

Karin Breitenfeld

Karin Breitenfeld ist Wirtschaftsingenieurin und arbeitet seit zehn Jahren im Wahlkreisbüro von Kerstin Kassner (MdB für Die Linke). Sie erklärt, dass es in Mecklenburg-Vorpommern nur sehr wenige Migrant*innen gibt, die in der Verwaltung arbeiten. Es sei einer der Gründe, weswegen insgesamt nur wenige Migrant*innen im gesamten Bundesland lebten. „Es besteht wenig Kontakt zwischen Alteingesessenen und Neuangekommenen. Deshalb ist es besonders wichtig, dass in der Begegnung gegenseitige Vorbehalte abgebaut und Vorurteile entkräftet werden.“

Natalie Opykhalio (links) im Gespräch mit Moderatorin Sabine Lilienthal (rechts)

Was Migrant*innen denn an Voraussetzungen mitbringen müssten, um hierzulande in der Verwaltung arbeiten zu können, will die Moderatorin wissen. Und Karin Breitenfeld antwortet, dass schon viel Bereitschaft dafür da sein müsse, Neues zu lernen. Sie sieht die Verwaltungsarbeit nicht als einschränkendes Beschäftigungsfeld, sondern betont, dass man in diesem Beruf die Möglichkeit habe, Probleme zu lösen und anderen Menschen zu helfen. „Viele hegen eine negative Einstellung gegenüber der Bürokratie“, sagt sie. Auch innerhalb der Verwaltung herrsche eine gewisse Resignation.

Natalie Opykhalio vermutet, dass die deutschen Behörden nicht immer wüssten, wie sie mit Menschen aus anderen Ländern umgehen sollten. „Daher ist die eigene Einstellung, mit der man selbst auf die Menschen in den Behörden zugeht, entscheidend“, sagt sie. „Man muss flexibel und offen bleiben.“

„Dabei sprechen die Deutschen selbst gar nicht so gerne andere Sprachen und erwarten schon deshalb von Migrant*innen, dass sie die deutsche Sprache schnell und gut lernen“, sagt Karin Breitenfeld. Sie fordert ein bisschen mehr Flexibilität seitens der Verwaltungsmitarbeiter*innen ein, um den gemeinsamen Prozess zu erleichtern. Sie sieht Nachholbedarf in der Öffnung für Migrant*innen in der Verwaltung und hofft auf die junge Generation. Allerdings gebe es gleichzeitig auch große Überlastungen in der Verwaltung. Die Angestellten müssten sich selbst in einem großen Apparat zurechtfinden. Dafür sei wiederum Verständnis aufseiten der Migrant*innen erforderlich.

Karin Breitenfeld im Gespräch mit Yucimid Dolezal

Aber auch positive Erlebnisse wirken nach. Sie selbst erinnert sich an das tolle Gefühl, dass sie hatte, als sie sich erfolgreich gegen die Abschiebung einer afghanischen Familie einsetzen konnte. An die Gastfreundschaft und das gemeinsame Essen, zu dem die Familie sie nach dem Überbringen der guten Nachricht einlud – obwohl sie mit starken psychischen Belastungen zu kämpfen hatten. Natalie Opykhalio erzählt, wie sie ihre deutsche Freundin Vanessa kennenlernte, die sich seitdem immer wieder selbstlos für ihre Familie einsetzt und an diesem Nachmittag auch dabei ist.

Auf die Frage von Sabine Lilienthal, was politisch passieren sollte, damit sich die Verwaltungen für Migrant*innen öffnen, sagt Karin Breitefeld, dass bereits viel in der Gesetzgebung geschehe. Aber dass diese Öffnung immer wieder neu eingefordert werden müsse. Von den Migrant*innen-Organisationen, die hier eine ganz wichtige Rolle spielen, wie auch durch deutsche Bürger*innen.

Natalie Opykhalio wünscht sich für die Zukunft mehr Sicherheit, mehr Perspektiven und Orientierung. „Dafür braucht es mehr Klarheit in der Kommunikation“, sagt sie. Auch was die Wartezeiten für Bescheide angehe. Sie bemängelt darüber hinaus den Austausch der verschiedenen Behörden untereinander, zum Beispiel zwischen Ausländerbehörde und Arbeitsagentur, und wirbt für bessere Zusammenarbeit.

Auch Yucimid Dolezal wünscht sich mehr Transparenz seitens der Behörden. Obwohl sie mit einem Deutschen verheiratet ist, bleibt ihr ein unbefristeter Aufenthalt bislang verwehrt. Sie fordert, dass jeder einzelne Fall eingehend betrachtet werden muss. Und dass es aufgrund bürokratischer Mängel nicht zu Antragsablehnungen kommen darf.

Karin Breitenfeld ist froh, dass es die Migrant*innen-Organisationen gibt, die den Zusammenhalt untereinander organisieren und als Sprachrohre agieren. Worauf Yucimid Dolezal entgegnet, diese Organisationen würden nicht ernst genommen. Es gäbe kaum Presse, die über das Engagement der Migrant*innen berichten würde, auch die Politik sei nicht ausreichend aktiv. Am Ende entsteht eine lebhafte Diskussion, in der die Rolle der Verwaltungen, der Parlamente und der Migrationsbeauftragten besprochen wird. Ob Migrationsbeauftragte genug täten, um gegenseitiges Verständnis zwischen Neuangekommenen und Alteingesessenen zu fördern, wird hinterfragt. Und betont, dass nicht nur die Verwaltung mehr tun müsse – sondern der Druck auf die Politik, auf die Gesetzgeber, viel wichtiger sei.

Alle Gäste sind sich schließlich einig: Der Weg zur Öffnung im Verwaltungsbereich ist zäh, ein langer Atem ist selbst für kleine Verbesserungen notwendig. Dennoch endet der Nachmittag in ausgelassener Stimmung – bei leckerem arabischen Gebäck und Kaffee. Mit der Gewissheit, dass wir gemeinsam für eine offene Gesellschaft stehen und uns dafür auch unter widrigen Umständen jeden Tag wieder starkmachen.

AUCH INTERESSANT