Langsames Schneiden

Nikolina weiß, wie viel Zeit man sich nehmen muss, damit Gäste sich geschätzt fühlen. Ein Gespräch über die Kartoffelgerichte ihrer Kindheit, ihren Foodblog, bosnische Feste und gemeinsame Kochrituale.

Fotos von  Juliette Moarbes

Von Elisabeth Wellershaus, 14.12.2018

Unser Treffen läuft nicht ganz wie geplant. Dreißig Minuten nachdem ich bei Nikolina Skenderija-Bohnet ankomme, liege ich mit Kamillentee auf dem Sofa. Eine Häkeldecke um den Bauch, den Blick auf bunte Büchertürme und frische Sonnenblumen vorm Fenster frage ich mich, warum mein Magen ausgerechnet jetzt schlappmacht. Ich hatte mich so aufs Essen gefreut. Darauf, mich von Nikolina und ihrer Mutter, die gerade zu Besuch ist, bekochen zu lassen. Auf Geschichten aus ihrer bosnischen Heimat, auf mindestens einen Sliwowitz. Doch nun liege ich kränkelnd im Wohnzimmer, die beiden brutzeln in der offenen Küche Kartoffeln und Zwiebeln für ihre Pita. Und zum Glück strahlen sie dabei so viel Gastfreundschaft aus, dass ich mich ungeniert von ihnen umsorgen lasse.

Eben noch hatten wir auf dem Boden in Nikolinas schönem Wohnzimmer gesessen und geplaudert. Ich habe also immerhin schon eine Idee davon, wer mich hier unbekannterweise mit Kamillentee versorgt. Romane, Kochbücher, theoretische Abhandlungen zum Thema Essen und Identität liegen in ordentlichen Stapeln in der Wohnung verteilt. Ernährung wird in diesem Hause wissenschaftlich angegangen. Momentan forscht Nikolina in ihrer Doktorarbeit zum Thema Tod, Tiere und Essen im Werk von Elias Canetti. Auch in der Wohnung der 31-Jährigen scheinen die Lebensmittel voller Geschichten zu stecken. Selbst der Tee, den Nikolina mir zur Begrüßung auf dem Boden serviert, dort, wo sie ihre Gäste am liebsten empfängt. „Da wo ich herstamme, heißt es: Nur Muslime empfangen Gäste auf dem Boden“, sagt sie, lacht und erklärt mir, dass sie nichts von kultureller Exklusivität halte.

Nikolina ist serbische Bosnierin und stammt aus Laktaši, einem kleinen Ort in der Nähe von Banja Luka, in der heutigen Republik Srbska. Sie ist noch ein Kind, als der Krieg im ehemaligen Jugoslawien wütet. Die Nachkriegszeit bestimmt ihr Erwachsenwerden, die Entscheidung, das Land mit zwanzig Jahren hinter sich zu lassen, ihr Leben in Berlin. Und wie so viele Migrationsgeschichten beginnt auch ihre mit Auslöschung und Assimilation. „Ich wollte dazugehören in Deutschland, fast um jeden Preis“, erzählt sie in einer Kochpause. Davon, wie sie Sprache, Erinnerungen, Familie und Bosnien zurücklässt. Wie sie in Berlin im Handumdrehen Deutsch lernt, Literaturwissenschaft studiert, sich kulturell anpasst. Und erst beim Experimentieren in der Küche umgeben von Rezepten und Zutaten aus der alten und neuen Heimat merkt, dass Vergangenheit und Gegenwart längst nebeneinander existieren. Kochabende mit ausländischen Freund*innen aus dem Studienkolleg werden zur Selbstverständlichkeit, während Nikolina sich daran erinnert, wie gerne sie ihrer Mutter früher in der Küche über die Schulter geschaut hat. Vor vier Jahren ergibt sich aus der Liebe zum Kochen fast wie von selbst der Foodblog ritualcuisine (http://ritual-cuisine.com/wordpress/), in dem sie die Erlebnisse in Deutschland mit dem Geschmack von früher verbindet.

Jetzt gerade strömt der köstliche Duft der Vergangenheit aus der Küche zum Sofa. Zwiebeln und Kartoffeln werden langsam ungeduldig in der Pfanne. Und sie verbreiten eine Vorfreude auf Nikolinas Krompiruša, auf diesen Kartoffelstrudel in dünner Teigschicht, die in der Nase kitzelt. Überhaupt klingt die Vorbereitung aus dem Nebenzimmer nach so viel Spaß, dass ich mich für geheilt erkläre und vom Sofa wuchte. Der runde Esstisch nebenan ist leergeräumt, in der Mitte liegt ein großer Teigklumpen, an dem Mutter und Tochter gemeinsam ziehen. „Fass mit an“, sagt Nikolina, und mit ungeschicktem Zupfen helfe ich dabei, den kompletten Tisch mit einer dünnen Teigschicht zu verkleiden.

Bei der Kartoffelfüllung steige ich aus. Die muss ordentlich in Reih und Glied liegen, und ich will die schöne Symbolik nicht zerstören, die in diesem Gericht steckt. Auf den ersten Blick geht es hier um unprätentiöse Teigrollen. Doch schon in der Schnitttechnik der Kartoffeln liegt etwas Besonderes: Sie sind in winzige Quadrate zerteilt. „In Bosnien gibt es diverse Zubereitungsmöglichkeiten, schneiden, hacken, raspeln“, sagt Nikolina, während sie den Teig um die Kartoffel-Zwiebel-Mischung zu einer Schlange rollt und geschmeidig in eine Springform legt. „Das langsame Schneiden bedeutet, dass man sich Zeit für sein Gegenüber nimmt, dass man seine Gäste schätzt.“ Dass man sie nicht einfach satt kriegen will, sondern den Moment des Kochens und des Essens bewusst miteinander teilt.

Wenn Nikolina an Bosnien denkt, sind es diese Momente, die sie im Kopf hat. Die spontanen Feste, die Gastfreundschaft, das gemeinsame Essen. Manchmal auch das Nichtzustandekommen von Gemeinsamkeit mit anderen Landsleuten während des Kriegs. Damals stand das Haus neben dem ihren leer. Eines Tages zog eine geflüchtete serbische Familie aus Bihać mit einer Tochter dort ein, die beiden Mädchen freundeten sich an. Als Nikolina zum ersten Mal Kartoffeln und Zwiebeln in der Pfanne der Nachbar*innen riecht, spürt sie ein Grummeln im Magen. „Ich war damals schrecklich dünn, mochte nie essen, nicht einmal das Krompiruša meiner Mutter“, erzählt sie, während sie die Teigrollen im Ofen überprüft. Doch bei den Nachbar*innen aus dem fremden Bihać roch es auf einmal aufregend „exotisch“, so Nikolina. Umso größer die Enttäuschung, als sie an diesem Abend nicht zum Essen eingeladen wird. Als die zugezogene Familie am Abendbrottisch für sich bleibt und sich der letzte Rest Fremdheit zwischen neuen und alteingesessenen Nachbar*innen nicht beim Essen auflöst.

Vielleicht wäre alles anders gekommen, wenn ihre Mutter nicht am selben Abend noch das Essen nach den Erzählungen der Tochter nachgekocht hätte. Vielleicht wäre Krompiruša nicht eines von Nikolinas Lieblingsgerichten geworden. Wer weiß, ob sie jetzt Foodbloggerin wäre. Ob sie heute jene Dinnerpartys schmeißen würde, bei denen sie die schwierige Zeit thematisiert, in der ihre Faszination fürs Kochen entstand. „Ich glaube daran, dass sich Geschichten über den Geschmack des Essens im Gedächtnis festsetzen“, sagt sie. „Dass die Gäste meiner Supperclub-Abende sich beim nächsten bosnischen Gericht an die Erzählungen erinnern werden, die sie bei mir gehört haben.“

An die Geschichte von Ljubomir Stanišić zum Beispiel, der als bosnischer Geflüchteter über Serbien nach Portugal kam, wo er heute eines der bekanntesten Restaurants des Landes führt. Seine Mutter hatte während des Kriegs so viele unterschiedliche Kartoffelgerichte kreiert, dass ihr Sohn den Mangel an anderen Nahrungsmitteln fast vergaß. Heute steht eine ihrer Kreationen auf seiner Speisekarte. Es ist eine von vielen Geschichten, die Nikolina zu diesem Thema gesammelt hat. Wie die des jungen Mädchens aus Sarajewo, das während des Kriegs eine Kartoffelknolle geschenkt bekam, sie einpflanzte und aus Angst vor Diebstahl ein Plastikband mit der Aufschrift „Achtung, Landminen“ darum spannte.

„Die Kartoffel ist noch immer wichtiger Bestandteil der bosnischen Küche“, sagt Nikolina, als sie unsere dampfende Teigschnecke in Tortenstücke schneidet. Auch die bosnische Pita kennen im Land alle, ob als Krompiruša mit Kartoffeln oder gefüllt mit Hack, Käse oder Gemüse. Darüber hinaus jedoch gibt es wenige Kochnarrative, die im gesamten Land greifen. Auf der einen Seite liegt Nikolinas Heimat, die Region um Banja Luka, die von der österreichischen Küche beeinflusst ist, wo Ochsenschwanzsuppe oder Germknödel noch immer häufig auf den Tisch kommen. Auf der anderen Seite Landesteile, in denen Sudžuk oder Baklawa den Speiseplan bestimmen. Selbst Gewürze unterscheiden sich von Region zu Region. Erst neulich hatte Nikolina ein bosnisches Kochbuch in der Hand, worin sie den Großteil der Gerichte gar nicht kannte. Es ist einer der Gründe, weswegen sie die Auseinandersetzung mit den Themen Essen und Identität sucht. Um Exklusionsmechanismen zu begreifen, die sich selbst in der Küche fortschreiben – und um sie zu überwinden.

In ihrer Berliner Wohnung braucht es nicht mehr als eine unglaublich leckere Kartoffelschlange, um sie, ihre Mutter, die Fotografin und mich so vertraut miteinander zu machen, dass wir uns bald wieder treffen wollen, um uns an Nikolinas selbst gebranntem Schnaps zu betrinken. „Nipp doch wenigstens schon mal“, stachelt ihre Mutter mich an, weil sie an die heilenden Kräfte des Hochprozentigen glaubt. Und nur mit all meiner Willenskraft lehne ich ab, weil ihr Schnaps himmlisch, aber heute zu gefährlich für mich riecht. Dort, wo die Pflaumen für diesen Sliwowitz herkommen, vom Familiengrundstück bei Banja Luka, dort, wo die Wassermelonen wachsen, die der Großvater so gerne mochte, dort hätten wir die Flasche vermutlich längst leer. Und so verabreden wir uns, an einem anderen Tag, irgendwo zwischen Berlin und Banja Luka, dort weiterzumachen, wo wir jetzt aufhören.

Du möchtest Pita mit Kartoffeln – Krompiruša zubereiten? Hier ist das Rezept!

Zutaten (für eine runde Backform, Radius 28 cm):

Für den Teig:

-350 g Weizenmehl
-2 EL Sonnenblumenöl
-1 Prise Salz
-ca. 200 ml Wasser, lauwarm

Für die Füllung:

-700 g Kartoffeln, geschält und sehr fein gewürfelt
-3 Zwiebeln, auch fein gewürfelt
-2EL Bratöl
-1 TL Salz
-1 1/2 TL gemahlener Pfeffer (schwarz)

Extras:

-Mehl für die Teigbearbeitung
-Öl und Wasser für die Fertigung

Zubereitung der Füllung:

Das Öl in einer großen Pfanne erhitzen und die fein gewürfelten Zwiebeln hinzugeben. Die Zwiebeln bei mittlerer Temperatur so lange dünsten, bis sie sehr weich und glänzend sind. Ab und zu umrühren.

Die Kartoffeln zu den Zwiebeln hinzufügen und einmal gut umrühren, bis die Zutaten gut vermengt sind. Für ca. 5-10 Minuten dünsten, bis die Kartoffeln ein wenig weicher geworden sind. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und nochmals umrühren. Die Pfanne vom Herd nehmen und bei Zimmertemperatur abkühlen lassen. Währenddessen den Teig zubereiten.

Zubereitung des Teigs:

In einer größeren Schüssel Mehl und Salz vermengen. Schrittweise die Hälfte des Wassers dazugeben und gleichzeitig mit einem Holzlöffel rühren. Dann das Öl dazugeben. Gleich danach die andere Hälfte des Wassers. Wenn der Teig dicker wird, den Löffel ablegen und den Teig auf eine bemehlte Arbeitsfläche legen.

Den Teig solange kneten, bis er elastisch und seidenweich wird (gute 15 Minuten lang). Dann den Teig zu einer Kugel formen, leicht einölen und auf einen ebenfalls leicht eingeölten Teller platzieren. Mit einem Stück Frischhaltefolie bedecken (damit der Teig nicht trocken wird) und 20 Minuten ruhen lassen.

Den Ofen auf 200 °C vorheizen. Einen Tisch mit einem sauberen und glatten Tischtuch bedecken. Den Teig mit den Händen zu einer Art Ellipse formen und in die Mitte des Tischs legen. Den Teig dann mit Händen dünn ausziehen (sehr vorsichtig, sich um den Tisch bewegend), sodass die Enden ein wenig über den Tischrand hängen. Wenn die Enden zu/ganz/noch dick sind, diese vorsichtig abreißen. Den Teig mit etwas Öl besprenkeln und 5 Minuten ruhen lassen.

Die Füllung über den Teig verteilen, aber in der Mitte, der ganzen Länge nach, einen 5 cm breiten Streifen frei von der Füllung lassen.
Jetzt kann mit dem Einrollen begonnen werden. Mit den beiden Händen eine Seite der Tischdecke greifen, hochheben und den Teig Richtung Mitte (Richtung der freien Fläche) einklappen und gleichmäßig, aber nicht zu fest einrollen. Mit dem Einrollen aufhören, wenn der gefüllte Strang bis zur Mitte gelangt ist. Mit einem Messer den Strang abtrennen und mit geölten Händen vorsichtig in die Länge ziehen. Den Strang zu Schnecken formen und in eine eingeölte Backform legen.

Mit der anderen Hälfte des Teigs genauso verfahren.

Die Pita bei 200 °C 20 Minuten backen. Dann die Temperatur auf 220 °C erhöhen und für weitere 15-20 Minuten backen, bis die Pita eine schöne, goldene Farbe bekommen hat.

Während der letzten 5 Minuten des Backens, in einem kleinen Topf ein dl Wasser mit einem EL Sonnenblumenöl vermengen und zum Kochen bringen. Nach dem Backen die Pita aus dem Ofen herausnehmen und mit der Wasser-Öl-Mischung besprenkeln. Mit einem Tuch abdecken und 5 Minuten ruhen lassen.

Die Pita zu einem Salat der Saison servieren, gut dazu passt auch Ayran oder Naturjoghurt. Prijatno!


AUCH INTERESSANT