Als Paul feststellt, dass er keinen einzigen Newcomer kennt, beschließt er, das zu ändern. Seine Idee ist einfach – gemeinsam kicken. Aber auch dazu müssen zunächst kleinere Hürden überwunden werden. Wie das klappt erzählt er im dritten Teil unserer JIK puzzle Kolumne.
Von Paul Kuhlmann, 01.02.2018Illustration: Tuffix (2017)Ich hatte noch nie Angst vor Menschen, die anders sprechen, anders aussehen oder an etwas anderes glauben als ich. Normalerweise unterscheide ich nicht. In letzter Zeit wurde mir aber eine Unterscheidung aufgezwungen. Ich fühlte mich nicht von anderen Menschen bedrängt, sondern von medialen Bildern, von der AfD, von der erstarkenden Fremdenfeindlichkeit in meiner Umgebung. Gleichzeitig kannte ich trotz der großen Zahl von Newcomern, die seit 2015 ins Land kamen, niemanden von ihnen. Das wollte ich ändern. Der für mich naheliegende Weg war, einen Fußball in die Hand zu nehmen, ein paar Leibchen einzupacken und mich in die Flüchtlingsunterkunft Hammer aufzumachen.
Rückblick: Es ist Samstag, der Speisesaal der Unterkunft ist voll und etwa 50 Jungs sehen mich neugierig und offen an, als ich den Raum betrete. Äußerlich falle ich offensichtlich auf, trotzdem fühle ich mich nicht unwohl. Ich rieche frisches Essen, höre lautes Gerede auf Arabisch und Kurdisch. Ein Junge, ich schätze ihn auf 16, ruft mir aus dem hinteren Teil des Raumes zu: ,,Komm zu uns“. Ich gehe aufmerksam durch den Raum, dabei werden mir Hände entgegengestreckt: „Habibi, ich bin Ahmad“, „Enes“, „Fahan“, „Tariq“. Ich antworte jedes Mal mit: „Ich bin Paul und spiele Fußball, willst du mitspielen?“. Der Junge, der mir zugewunken hat, heißt Rashmad, kommt aus Syrien und ist 16 Jahre alt. Er spielt schon länger Fußball. Ich werfe ihm den Ball zu, er fängt ihn auf und beginnt laut zu lachen. Er macht neben sich Platz, sodass ich mich setzen kann. Sekunden später habe ich einen Teller mit Salat, Tomaten, Kartoffeln und Gemüse vor mir stehen, den mir ein anderer Junge gebracht hat. Ein weiterer reicht mir ein Glas und fragt, ob ich etwas trinken möchte. Ich gucke mir jeden einzelnen der sechs Jungs am Tisch an und freue mich. So herzlich wurde ich noch nie von vermeintlich Fremden aufgenommen.
Eine Woche später: Wir sind zum Fußballspielen verabredet, ich verspäte mich, komme im großen Speisesaal an und stelle fest, dass keiner da ist. Ich gehe zum Büro, die Tür ist verschlossen. Ich bin enttäuscht, aber jetzt einfach wieder zu fahren kommt nicht in Frage, ich freue mich schon seit Mitte der Woche auf das Fußballspielen. Ich gehe einfach los in die Häuser und beginne an die Türen zu klopfen, manche machen schnell auf, sie hören arabische Musik und sitzen auf dem Boden. In einem Zimmer begegnet mir ein Junge dessen Anblick mich irritiert. Er ist etwa 1,85 groß und wiegt vielleicht noch 50 kg, er sieht verzweifelt aus. Ich frage ihn, mit meinem Ball in der Hand, ob er Fußball spielen möchte. Er versteht mich nicht. Ich lege den Ball auf den Boden und passe ihm zu. „Fußball spielen“ sage ich dabei. Er zeigt auf seine Füße und sagt: „keine Schuhe“. Jetzt erst verstehe ich so richtig, dass es hier nicht immer spaßig ist, dass viele der Jungs Krieg erlebt, ihre Familie verloren haben oder verlassen mussten und dass die Welt viel größer ist als mein kleines Universum, in dem ich einfach nur Fußball spielen möchte. Der Junge will auch spielen, aber ohne Schuhe? Ich gehe an ihm vorbei in sein Zimmer und sehe ein paar Winterschuhe. Ich zeige darauf „Die da gehen doch auch.“ und mache einen Daumen hoch.
Nach etwa einer Stunde stehen wir mit 10 anderen Jungs vor dem Speisesaal. Wir gehen zum Platz, die Jungen mustern mich. Die Blicke wandern über meine Kleidung zu meinen Schuhen „Nikes“. Ein anderer zeigt auf seine ,,Ich habe auch ‚Nikes‘“ freut er sich. Dann fangen wir an zu spielen, es wird viel geschrien und gelacht. Wir treffen uns drei Monate lang jeden Samstag zum Kicken.
Ich bin anfangs vor allem aus Neugier in die Unterkunft gegangen. Ich habe mir kaum Gedanken gemacht, wie es werden sollte. Ich wollte einfach nur eine gute Zeit miteinander haben und die Menschen kennenlernen. Manchmal wenn ich mich mit neuen Freunden treffe, habe ich das Gefühl, mich beweisen zu müssen. Das hatte ich dort gar nicht. Die Aufmerksamkeit und Höflichkeit der Menschen hat mich überrascht. Ich wünschte, unsere Gesellschaft wäre genauso gastfreundlich, wie die Jungs, als ich sie das erste Mal besuchte.