Für viele Menschen ist die Arbeit ein wichtiger Bereich, in dem sie persönliche Anerkennung suchen. Für Geflüchtete, die Arbeit in völlig neuen Kontexten denken müssen, gilt das umso mehr. Reden wir mit ihnen darüber!
Von Tobias Scholz, 02.05.2019Vor einigen Wochen musste ich aus einem traurigen Anlass in meine Heimat reisen. Der Vater einer engen Freundin war gestorben. Als Jugendlicher war ich in seinem Haus ein- und ausgegangen und mir war wichtig, bei der Beerdigung dabei zu sein. Auf der Trauerfeier saß neben mir ein fülliger, älterer Mann, der sich irgendwann erhob und fragte, ob er auch noch etwas über den Verstorbenen sagen dürfe. Er stellte sich als ehemaliger Präsident der Tierärztekammer vor, der in den 1980er- und 1990er-Jahren mit dem Vater meiner Freundin zusammengearbeitet hatte. Obwohl die gemeinsame Tätigkeit schon lange zurücklag, erschien ihm dessen Erwerbsbiografie so besonders, dass er gern darüber berichten wollte. Und etwas Besonderes ist diese durchaus.
Als junger Mann war der Verstorbene aus Ägypten nach Deutschland gekommen, um Bauingenieur zu werden. Anfangs ohne Sprachkenntnisse, hatte er sich durchgeschlagen, mit Schichtarbeit in der Autofabrik neben dem Studium, und war nach einigen Neuorientierungen Tierarzt und Unternehmer geworden. Nun, knapp sechzig Jahre später, wurde an diesem Tag in der niederbayerischen Provinz diese fast amerikanisch anmutende Geschichte von Migration, Arbeit und Anerkennung erzählt. Sie rührte alle sehr, obwohl die meisten genau wussten, dass die alltägliche Anerkennung für diese Lebens- und Arbeitsgeschichte trotz allem jahrzehntelang gefehlt hatte.
Ich wünsche mir sehr, dass es in diesem Land nicht erst biografische Rückblicke braucht, um zu erkennen, wie wichtig die Arbeit für die persönliche Anerkennung ist. Für ein Stattfinden in der Lebenswelt – egal, woher man stammt und wie man dorthin gekommen ist. Auch in der WIR MACHEN DAS-Reihe „Meet Your Neighbours“ geht es im Kern um diesen Gedanken: zu uns gekommene Menschen als Tätige stattfinden zu lassen, als Expert*innen mit besonderem Wissen, das sie in ein Miteinander einbringen, das sie selbst mitgestalten können. Weniger prosaisch heißt das: Migrant*innen in Deutschland sollten die Möglichkeit haben, mit hier ansässigen oder geborenen Menschen über die gemeinsame berufliche Erfahrung zu sprechen. Denn was auf diese Weise entsteht, ist nicht weniger als die Idee eines zukünftigen gemeinsamen Handelns und Lebens.
So ein Gespräch ist voraussetzungsreicher, als viele denken mögen. Es verlangt zum Beispiel, dass sich deutsche Gesprächspartner*innen nicht berufen fühlen, innerhalb kurzer Zeit möglichst viele gute Ratschläge loszuwerden. Ein Gespräch „auf Augenhöhe“ zu führen, wird allzu gerne missverstanden. Dabei gilt für beide Seiten, was Hannah Arendt in Vita activa über gemeinschaftliches Leben schreibt: „Dies Risiko, als ein Jemand im Miteinander in Erscheinung zu treten, kann nur auf sich nehmen, wer bereit ist, […] im Miteinander unter seinesgleichen sich zu bewegen, Aufschluss zu geben, darüber, wer er ist, und auf die ursprüngliche Fremdheit zu verzichten.“ Zu erkennen, dass es dieses Risiko gibt, und trotzdem zu versuchen, etwas Gemeinsames zu schaffen: So etwas kann gar nicht oft genug ausprobiert werden. Politisch steuerbar ist das natürlich nicht, es ist „Handarbeit“. Umso besser.
Der Vater meiner Freundin kam in den 1960er-Jahren nach Deutschland und hat die meiste Zeit seines Lebens in Niederbayern verbracht. Seine biografische Reise zeigt auf, wie grundverschieden das soziale Miteinander an unterschiedlichen Orten tatsächlich funktioniert: in Kairo selbstverständlich anders als im Hannover der Sechziger, wo er studiert hatte. Und dort wiederum ganz anders als im Niederbayern zu Zeiten von Franz Josef Strauß. Die Arbeits- und Lebenswelten der urbanen Zentren besitzen nur wenige Überschneidungen mit denen der ländlichen Räume. Umso wichtiger ist es, dort, wo die Wege weit sind, die Menschen im Gespräch über ihre Arbeit zusammenzubringen. So entstehen neue Ideen. In Mecklenburg-Vorpommern sollen Student*innen aufgrund des Lehrer*innenmangels jetzt schon während des Studiums unterrichten. Warum denn nicht Lehrer*innen aus Syrien oder Afghanistan, wenn sie im „Mangelfach“ Englisch bereits über eine langjährige Unterrichtserfahrung verfügen? Solche Ideen entstehen im gemeinsamen Gespräch – auch bei „Meet Your Neighbours“. Alle sind herzlich eingeladen, diese Ideen mitzuentwickeln und sie weiterzutragen.
Diesen Monat geht es im WIR MACHEN DAS-Magazin um das Thema Arbeit. Elisabeth Wellershaus hat ein Interview mit der Anti-Rassismus-Trainerin Tupoka Ogette geführt. Rasha Hilwi stellt in der Rubrik Superwoman die Leiterin des Kulturprojekts Berlin Mondiale, Sabine Kroner, vor. Und Asma Abidi berichtet über das Ankommen in neuen Arbeitskontexten.