Bild: QAB Sherihan
Bild: QAB Sherihan

Zu arabisch, um queer zu sein – zu queer, um arabisch zu sein

Queeres Leben ist in Berlin ein wichtiger Teil der Stadtkultur: Es gibt Partys, Konferenzen, mediale Repräsentation. Doch wie offen ist die Stadt für Menschen arabischer Herkunft? Über queer-arabische Zugehörigkeitsfragen und Identität schreiben die Initiatoren von Queer Arab Barty für „JEEM“ und „WIR MACHEN DAS“.

Von Erkan Affan und Nael Ibrahim, 30.07.2019

*English version is below.

Wer einen Raum voller Queer- und Trans-Menschen arabischer Herkunft betritt, spürt oftmals diese unvergleichlich intensive Energie – eine Exaltiertheit, Offenheit und emotionale Großzügigkeit. Sie ist in unseren unterschiedlichen Kulturen und Traditionen einer Region verankert, die durch die gemeinsame Sprache verbunden ist. Unsere Historien sind reich an liebenswerten Divas, wunderlichen Interaktionen, fesselnden dramatischen Diskussionen und einer rückhaltlosen, absoluten Widerstandskraft gegen das Zum-Schweigen-Bringen queerer Stimmen in Mainstream-Gesellschaften. Für all dies finden wir umgangssprachliche Ausdrücke und kreative Klischees, die andere mit gerunzelter Stirn und faszinierten, verständnislosen Gesichtern zurücklassen.

Aber Räume, in denen wir uns selbst inszenieren können, in denen unser kulturelles Schaffen und unsere Gemeinschaften dieses wunderbare Gefühl von Freiheit und Freizügigkeit spiegeln, sind rar. Weder in Beirut noch in Berlin wachen wir einfach eines Morgens in einem sozialen Gefüge auf, das uns ohne Weiteres Raum für unsere Aktivitäten bietet; in dem wir einfach dazugehören. Vielmehr kämpfen wir nach wie vor um diese Orte. Wir navigieren Weißsein, Heterosexualität, Cis-Zentrismus, Eurozentrismus, Orientalismus, Rassismus und so viele weitere Formen der Bigotterie, nur um einem Gesellschaftsgefüge nahezukommen, in dem wir als queere Menschen aus dem arabischen Raum das Gefühl haben können, dass auch wir zählen.

Nehmen wir zum Beispiel den Christopher Street Day (CSD) in Berlin. Als massive, von der Stadt unterstützte Parade mit großen internationalen Sponsoren ist der CSD ein Event, das es ausnahmslos schafft, die Ausgrenzung zeremoniell zu veranschaulichen, der sich queere Schwarze und PoC oder Trans-Menschen in der Stadt regelmäßig ausgesetzt fühlen. Während meiner kurzen Teilnahme im letzten Jahr habe ich beobachtet, wie weiße Cisgender-Männlichkeit auf den zahlreichen Wagen, die durch die Straßen zogen, als ultimatives Sexsymbol auf ein Podest gestellt wurde. Uns anderen, Nichtweißen, Nicht-Cisgender und Nichtdeutschen, gab es das Gefühl, bestenfalls Poller zwischen Parade und Gehweg zu sein. Eine meiner persisch-deutschen Trans-Schwestern erinnerte lautstark daran, wie wichtig es sei, dass Pride-Events im Geiste von Marsha P. Johnson auch politische Proteste blieben. Ihr schlug nichts als höhnisches Gelächter entgegen, was unsere Unsichtbarkeit als „Andere“ nur verdeutlichte.

Es besteht also die Notwendigkeit, einen eigenen Raum zu schaffen, so viel steht fest. Die Räume, die uns als Araber*innen und Queers in Berlin zur Verfügung stehen, sind ohnehin begrenzt und nicht ohne jeweilige Spannungen und Komplexitäten. Zwischen politischen Ausrichtungen und kulturellen Tendenzen sind wir in einer Raumzeit mit wenigen Möglichkeiten erstarrt – queer und arabisch lässt sich für viele noch immer nicht zusammendenken. Und dadurch lassen sich soziale, kulturelle und persönliche Verschlingungen auf individueller wie gemeinschaftlicher Ebene nur schwer navigieren. Die Räume, die uns zur Verfügung stehen, tendieren stets in Richtung ästhetischer Performativität und kultureller Fetischisierung. Tiefer liegende Probleme, mit denen wir als queere Araber*innen zu kämpfen haben – Ablehnung durch die Gemeinschaft, Angst vor dem „Outing“ oder Mangel an geschützten Räumen –, werden häufig ignoriert. Kurzum, wir sitzen zwischen allen Stühlen: Wir sind zu arabisch, um queer zu sein, und zu queer, um arabisch zu sein.

Diese künstliche Binarität von „arabisch versus queer“ reduziert unser Leben, unsere Erfahrungen und unsere Herkunft auf zwei Identitätskategorien. Sie löscht unsere ethnische, religiöse und linguistische Vielfalt aus. Und sie hindert uns auch daran, uns in dieser Stadt zugehörig zu fühlen. Wie kann uns Berlin zur Heimat werden, wenn seine Räume nicht jederzeit für alle unsere Identitäten verfügbar sind, sondern immer nur für einen Teil davon? In einer Stadt wie Berlin ist es ja nicht gerade schwierig, auf sichtbares Queersein zu stoßen. Wenn Berlin, von medialer Repräsentation und Workshops bis hin zu Partys und Konferenzen, eines bewiesen hat, dann in der Tat, dass es sehr queer ist. Aber für wen wird dieses Queersein kuratiert?

Ich spreche von einer Ausgrenzung, die jedoch für unseren Hummus, unsere Falafel, unseren Bauchtanz und unsere Körper gerne eine Ausnahme macht. Während queere Araber*innen auf Bühnen in der ganzen Stadt, unter der Regie unterschiedlichster Menschen, ganz offen in Jasmin, Aladin und all die anderen Figuren aus Tausendundeine Nacht verwandelt werden, wird weiterhin ohne Unterlass an der Konditionierung unserer schieren Existenz gearbeitet. Es sieht so aus, als entscheide die deutsche Gesellschaft probeweise, welche Art der Darstellung verträglich ist und dass unser Queersein nur eine Daseinsberechtigung hat, wenn wir eine „orientalisierte“ Art von Araber*innen produzieren können. Überrascht? Sollten Sie nicht sein. Während Anti-Flüchtlings-Ressentiments zunehmen, zeigte im vergangenen Jahr ein Artikel der ZEIT ONLINE, dass „Flüchtlingspornografie seit 2015 in Deutschland […] virulent geworden ist“ (Amjadhid 2018).

Aber wir brauchen Räume, in denen wir kein Fetisch sind. In denen unsere Identitäten keine Inszenierung sind. In denen wir auf unsere eigene, authentische Art leben und atmen können, im Einklang damit, wer wir sind, wen wir lieben und von wem wir geliebt werden wollen. In denen unsere Sexualität und unser soziales Geschlecht nicht hegemonial wahrgenommen, studiert, analysiert, zur Sensation aufgebauscht und kommerzialisiert werden. Wenn ich mit meinen großen Neon-Ohrringen, auf denen „Habibi“ steht, meinem schulterfreien Outfit, das nackte Haut zeigt und mit dem ich mich in der Öffentlichkeit verwundbar fühle, aus der U-Bahn steige und Richtung Club gehe, möchte ich wissen, dass ich einen Raum betrete, in dem meine Sichtbarkeit nicht zu meinem Ableben führt – sondern lediglich zur Selbstentfaltung.

Das ist es, was wir mit Queer Arab Barty erreichen möchten. Ein einfacher Name mit einfachem Ziel: Selbstentfaltung und Akzeptanz. Mit unserem Raum für queere Araber*innen in Berlin wollen wir anderen queeren Räumen in der Stadt nichts wegnehmen, sondern vielmehr zeigen, wie queere Räume sein sollten: dass sich niemand wegen dem, was er ist, unwohl fühlen oder diskriminiert, angefasst oder gar hinausgeworfen werden sollte. Als Kollektiv beanspruchen wir queere Araber*innen in der Diaspora einen Raum, in dem wir zu uns selbst stehen können. Denn auch wir haben Räume verdient, die inklusiv, einladend, authentisch und vor allem sicher sind. Wir müssen in eine Bar, ein Café, einen Späti, ein Restaurant gehen können, ohne aufgrund unserer Herkunft, unserer politischen Ansichten oder unseres Status in diesem Land Angst haben zu müssen. Diese Räume für uns selbst zu schaffen, ist ein Versuch, uns die Stadt neu zu eigen zu machen, in die wir freiwillig oder notgedrungen gekommen sind oder gebracht wurden. In der wir sowohl Araber*innen als auch queer sein wollen – ohne jemals auch nur eine Sekunde darüber nachdenken zu müssen.

*Übersetzt aus dem Englischen von Elisabeth Meister.

Too Arab to be Queer, and too Queer to be Arab

 Queer life is an important part of Berlin’s culture: Parties, conference, media presence. But how open is the city for people of Arabic origin? The initiators of Queer Arab Barty write on queer-Arab sense of belonging and identity.

 

It is not rare to walk into a space that has been graced with the wonderful presence of queer and trans people from the Arabic-speaking world and feel an intense energy of excitement, openness and emotional generosity. It is embedded within our various cultures and traditions that exist across a region connected through a common spoken tongue. Our histories are ones that are rich with loveable divas, shady interactions, captivating dramatic discourses, and a total and utter resilience towards queer silencing in mainstream societies; embodying vernacular expressions and creative tropes that leave others with their brows furrowed and their faces full of fascination (and incomprehension).

But spaces in which we can perform and embody ourselves, where our cultural productions and communities can project such a beautiful feeling of liberty and freedom, are not offered to us for free. We don’t wake up one morning, be it in Beirut or Berlin, with the template of an accessible social architecture and physical space being readily available for us to engage in; to belong in. Rather, we continue to fight for these spaces – navigating whiteness, straightness, cis-centrism, Eurocentrism, Orientalism, racism and many other forms of bigotry – in order to even come close to (re)creating communities in which we, as queer people from the Arabic-speaking world, can feel as though we matter.

Take Christopher Street Day (CSD) in Berlin as an example. The largest, city-endorsed parade with distinctive international sponsors, CSD is an event that without fail manages to ceremonially exemplify the marginality that queer, trans* black and brown people feel exposed to on a regular basis in the city. During my brief attendance last year (as a gender non-conforming queer Arab*), I watched how white, cisgender masculinity was pedestalised as the ultimate sexual symbol on the numerous floats passing through the street – leaving the rest of us, the non-white, non-cis and non-German – feeling like nothing more than bollards between the pavement and the parade. I particularly remember one trans, Persian-German sister of mine shouting about the importance of keeping pride events as political protests in the spirit of Marsha P. Johnson; she was met with nothing more than a mocking laugh, further exemplifying our invisibility as ‘other’ communities.

So there is a need for us to create our own space, that much is clear. The spaces that are available for us as Arabs and Queers in Berlin are already numbered, and not without their own tensions and complexities – between political affinities and cultural tendencies, we are frozen in a space-time with marginal opportunity to navigate social, cultural and personal convolutions on both individual and communal levels. But the spaces that are available for us to perform our queerness and Arabness in a harmonious manner always sway towards a thematic narrative of aesthetic performativity and cultural fetishization, ignoring the deeper rooted issues of community rejection, the fear of ‘outing’, and the lack of safe spaces that we as queer Arabs are always fighting against.  In short, queer Arabs are left in between a rock and a hard place: we’re too Arab to be queer, and too queer to be Arab. 

This (ficitious) binary of ‘Arab versus queer’ not only reduces our lives, experiences and our backgrounds into two categorial identities that erase our ethnic, religious and linguistic diversities, however, but it also prevents us from feeling like we belong in this city. How can Berlin become home if its spaces are not made readily available for all of our identities, rather than just a segment of them? After all, queer visibility is not tough to come across in Berlin. From media representation and workshops to parties and conferences, if Berlin has proven to be anything it is indeed that it is very queer, but for whom is this queerness curated?

Somehow, however, this exclusion seems to spare our hummus and falafel, our belly-dancing and our brown bodies. Queer Arabs are openly transformed on stages across the city – hosted by a number of people with varying backgrounds and positionalities – into Jasmine, Aladdin and all the other characters of Arabian Nights, whilst our existences here are still conditioned with little respite. So it appears that this society tentatively decides what is digestible and disposes of the rest, as if to say that our queerness is only valid if we can produce an ‘orientalized’ kind of Arab. Surprised? You shouldn’t be. Whilst anti-refugee sentiments are increasing, a report by ZEIT ONLINE last year showed “refugee pornography has become virulent in Germany since 2015”. 

We need spaces in which we are not a fetish. Where our identities are not a performance. Where we can live and breathe in our authentic manner, comfortable with who we are and choose to love and be loved by. Where our sexuality and our gender is not hegemonically perceived, studied, analyzed, sensationalized and commodified. When I get off the U-Bahn and walk towards the club with my large neon earrings that read ‘Habibi’, my off-the-shoulder outfit that exposes my bare skin and leaves me feeling vulnerable in public, I want to know that I am walking in to a space where my visibility will not lead to my demise, only to my authentic self-expression.  

This is what we intend to do with Queer Arab Barty. A simple name with a simple goal: self-expression and acceptance. This attempt for us to carve a new space for queer Arabs in Berlin is not one that endeavours to divest from other queer spaces in the city, but rather to show how queer spaces should be: no one should be uncomfortable, discriminated against, touched or kicked out for who they are. So we, a collective of queer diaspora Arabs, are claiming a space in which we can claim ourselves. The constant fight to enjoy our bodies and let our goals roam in this city is exhausting, and we too deserve spaces that are inclusive, pleasurable, relatable and above all safe. We need to be able to walk into a bar, a café, a späti, a restaurant and not feel scared because of our background, our politics, or our status in this country. Carving out these spaces for ourselves is an attempt to reclaim the city that we all came to/were brought to, by our own volition or out of necessity; where we could be both queer and Arab and never have to think twice about it.  

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