Die WIR MACHEN DAS-Gesprächsreihe „MEET YOUR NEIGHBOURS“ hat Erzieherinnen aus Syrien, Serbien, Tschechien und Deutschland in Stralsund zusammengebracht. Es ging um sprachliche Barrieren, Kopftücher und um die Geduld, die es auf dem Weg ins deutsche Berufsleben braucht.
Die Veranstaltung fotografierte für uns Stefanie Kulisch.
Von Wafaa Albadry, 27.06.2019Bevor ich mich auf den Weg in den Norden mache, schaue ich auf einer Landkarte nach, wo Stralsund überhaupt liegt – und wie groß es ist. Ich bin eingeladen, an einem Treffen des Projekts „Meet Your Neighbours“ teilzunehmen. Ein Blick auf die Karte verrät mir, dass die kleine Stadt im Nordosten Deutschlands liegt, in der Nähe der südlichen Ostseeküste, im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern.
Als ich ankomme, sitzen bereits ein paar Frauen in den Zuschauerreihen, auch die Organisator*innen sind schon da. Alle sind gespannt auf das erste „Meet Your Neighbours“-Treffen in diesem Jahr. Das Projekt, das in Kleinstädten und ländlichen Gebieten Eingewanderte und Geflüchtete mit der Lokalbevölkerung zusammenbringt, um über das Thema Arbeit zu diskutieren, war bislang immer auf großes Interesse gestoßen. Vielleicht wegen der ungezwungenen Atmosphäre: In Stralsund werde ich zumindest gleich mit arabischen Süßspeisen begrüßt.
Kleine Stadt, große Herausforderungen
Auf der Bühne nehmen vier Frauen aus vier Ländern Platz, jede von ihnen mit unterschiedlichen Erfahrungen. Das Einzige, was sie verbindet, ist die Liebe zu ihren Berufen, die sich dieses Mal alle um das Thema Erziehung drehen. Auch die Moderatorin vom Verein Tutmonde, Jana Michael, arbeitet seit Jahren als Erzieherin und Dozentin zu interkultureller Annäherung. Sie hat in Tschechien Erziehungswissenschaften studiert, hat also auch Migrationserfahrung.
Zusammen mit Fatima Aldibo und Salwa Iskaf aus Syrien, mit Andrea Kühl aus Deutschland und Kristina Kowalski-Schöning aus Serbien ist sie sofort im Austausch über ihre Erfahrungen als Erzieherin in Deutschland. Alle vier haben ganz unterschiedliche Bezüge zum Land. Was die Frauen jedoch verbindet: die Betreuungsarbeit, die für alle Anwesenden mehr Berufung als Beruf ist. Trotzdem hat die Kleinstadt jede von ihnen vor große Herausforderungen gestellt.
Es ist zum einen die geografische Randlage von Stralsund. Zum anderen die politische Lage in der Stadt. Ich verfolge die Situation in Mecklenburg-Vorpommern seit 2016. Im Verhältnis zu einer Bevölkerung von etwa 1,6 Millionen Menschen nahm das Bundesland damals die geringste Anzahl von Asylsuchenden in ganz Deutschland auf. Zwar gewann die SPD die Landtagswahlen 2016, aber die AfD mit ihrer rechten, ausländerfeindlichen Einstellung erreichte dennoch 20,8 Prozent. Und das spiegelt eine nicht unbedeutende politische Entwicklung wider.
Eine Situation, die nicht besonders ermutigend wirkt. Und doch spielte manch ein Lokalpolitiker eine wichtige Rolle in der Geschichte der Frauen, die jetzt hier auf der Bühne sitzen. Kristina Kowalski-Schöning erzählt von den Problemen mit ihrer Arbeitserlaubnis. Sie hatte diese in Hamburg erhalten, um dort in einem Kindergarten zu arbeiten, doch das Dokument war dann in Stralsund, wo sie später mit ihrer Familie hinzog, nicht mehr gültig. Der Kampf um eine neue Arbeitserlaubnis war frustrierend. Irgendwann bekam Kowalski-Schöning Unterstützung von einem Politiker aus der Region. Aber sie versucht noch immer, eine vollständige Erlaubnis zu bekommen, da ihr momentaner Status ihr nicht erlaubt, allein mit Kindern zu arbeiten.
Enttäuschungen mit Hoffnung begegnen
Fatima Aldibo kam vor etwa 2,5 Jahren nach Stralsund. Vor Kurzem begann sie ein Studium, um hier als Erzieherin arbeiten zu können. Sie spricht optimistisch über die Ausbildung, in ihrem Kopftuch sieht sie bis jetzt kein Hindernis für ihre Arbeit. Aber das könnte sich nach dem Studium, bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, ändern. Sie weiß, dass die Menschen in Stralsund unterschiedliche Ansichten zu Ausländer*innen haben. In Syrien hat Aldibo als Lehrerin und Schulleiterin gearbeitet. Bis zur Arbeit als Erzieherin in Deutschland werde es ein weiter Weg sein, meint sie. Aber sie begegnet allen Herausforderungen mit Optimismus und wappnet sich mit jeder Menge Hoffnung gegen Enttäuschungen.
Salwa Iskaf hat andere Erfahrungen gemacht. In Syrien hatte sie einen Kindergarten gegründet und ihn sieben Jahre lang geleitet. Nach fast zwei Jahren in Stralsund konnte sie hier noch nicht Fuß fassen. Ein grundlegendes Hindernis ist für sie die Sprache. Und, wie sie selbst meint, die Tatsache, dass sie über vierzig ist. Sie sagt, in ihrem Alter falle es ihr schwerer, Neues zu lernen. Iskaf schlägt vor, Erzieher*innen mit fehlenden Deutschkenntnissen dennoch arbeiten zu lassen, damit sie die Sprache auf dem praktischen Weg lernen können. Außerdem wäre es ein Vorteil für die Kinder von Eingewanderten und Geflüchteten, wenn sie Lehrer*innen und Erzieher*innen in ihrem Umfeld hätten, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, sagt sie. Menschen, die verstünden, was diese Kinder an Schwierigkeiten und Schrecken erlebt haben.
Andrea Kühl hat früher als Erzieherin gearbeitet und erinnert sich an ihre ersten Erfahrungen mit nicht-deutschen Kindern. Als sie aus den Sommerferien zurückkam, waren drei afghanische Kinder auf ihre Schule gewechselt. Die Kinder waren fürchterlich verängstigt und wollten ständig weglaufen. Diese Angst verstärkte sich dadurch, dass sie kein Deutsch verstanden und sich kaum verständigen konnten. Betreuer*innen, Lehrer*innen und auch die Kinder selbst lernten jedoch schnell, über Körpersprache zu kommunizieren – bis sich die Kinder schließlich zurechtfanden und genug Deutsch sprachen, um klarzukommen.
Trotzdem ist dies ein gutes Beispiel für die etlichen Hindernisse, die Kindern von Einwander*innen im Weg stehen. Und vielleicht könnte eine Lösung tatsächlich die Einstellung von mehr Erzieher*innen mit Migrationshintergrund sein.
Erste Lektion: Geduld
Aber natürlich sind nicht nur eingewanderte Kinder oder Erzieher*innen betroffen, sondern auch deutsche. Beispielsweise von dem Problem, Kinder nicht allein betreuen zu dürfen. Zwar versuchen manche Einrichtungen, die rigiden Regeln in Zusammenarbeit mit Kinder- und Jugendverbänden anzupassen. Aber bislang gab es noch keine Erfolge.
Viele Zuschauer*innen in Stralsund kennen die Herausforderungen in dem Berufsfeld, haben selbst ähnliche Erfahrungen gemacht. Eine Frau aus dem Publikum erzählt, wie leicht es für sie war, in Berlin zu arbeiten, und wie schwer sie es nun in Stralsund hat – selbst in Zeiten der Willkommenskultur. Doch hier beim „Meet Your Neighbours“-Treffen tauschen sich die Frauen in offener Atmosphäre aus und geben sich gegenseitig Ratschläge. Der letzte ist kurz und pragmatisch: Erzieher*innen, bleibt geduldig. Die Geduld ist beim Thema Arbeit stets dein Freund. Auch bei der Suche nach der richtigen Ausbildung oder dem passenden Arbeitsplatz.