Anlässlich des heutigen Muttertags erzählt Ameenah A. Sawwan vom Muttertag in Syrien und wie sich dieser besondere Tag verändert hat.
Von Ameenah A. Sawwan, 08.05.2016Heute ist in Deutschland Muttertag. Wie in zahlreichen anderen Ländern wird auch in der arabischen Welt Muttertag gefeiert.
Selbstverständlich werden an diesem Tag auch in Syrien, Ägypten, den Golfstaaten, Jordanien, Palästina, Lybien und im Sudan Mütter mit Liebe und Geschenken überhäuft. In Syrien, meinem Heimatland, hat dieser Tag, der dort in den Monat März fällt, eine schöne und fröhliche Bedeutung. Es ist ein Tag voller Freude, Lächeln und Liebe.
Der Tag ist der Anerkennung und Würdigung aller syrischen Mütter gewidmet. Kinder wie Erwachsene machen Geschenke, backen Kuchen, bringen ihren Müttern Blumen mit und man erwartet, dass sie den Tag mit der Familie verbringen.
In den vergangenen fünf Jahren war der März ein besonderer Monat in Syrien, nicht nur wegen des Muttertags, sondern auch weil sich dann die syrische Revolution jährt. Alles hat sich seither verändert, auch die Mütter.
Seit der syrischen Revolution sind Mütter nicht mehr einfach nur Mütter, die hart arbeiten und sich immer wieder als die besten Multi-Tasker aller Zeiten erweisen. Syrische Mütter sind seitdem dazu gezwungen, noch erfindungsreicher zu werden.
Für mich und für die Menschen meiner Heimatstadt Moadamiyeh hat der Muttertag mittlerweile eine völlig andere Bedeutung angenommen. Die erste Demonstration in Moadamiyeh fand am Muttertag im Jahr 2011 statt. Ich erinnere mich noch an jedes kleinste Detail an diesem Tag. Wir kochten und bereiteten einen Kuchen für meine Mutter vor. All meine Brüder und Schwägerinnen waren bei uns zu Hause.
Vom Rathaus her, nur 150 Meter von unserem Haus entfernt, hörten wir Lärm und als wir hinausgingen, sahen wir Menschen vor dem Rathaus demonstrieren. Das war sehr ungewöhnlich und natürlich dauerte es nicht lange bis die Streitkräfte des Regimes vor Ort waren, auf Demonstranten einprügelten und dutzende Menschen verhafteten. Ich sah, wie sie meinen 16 Jahre alten Cousin auf der Straße schnappten, obwohl er noch nicht einmal an der Demonstration teilnahm und nur durch Zufall vor Ort war.
Sie verhafteten ihn und wir konnten es nicht verhindern. Es war, als würde uns vor Angst und Schreck das Blut in den Adern gefrieren. Zurück zu Hause, erwartete uns das luxuriöse Muttertagsessen, das wir vorbereitet hatten. Unsere Gesichter waren bleich und meine Mutter zeigte sich am meisten betroffen. Sie war sehr besorgt um meinen Cousin, der seine eigene Mutter wenige Jahre zuvor verloren hatte. Sie bat mich und meine Schwägerinnen das Festmahl in die Küche zu bringen. Niemand war in der Lage zu essen. An diesem Tag wurde nicht gefeiert.
Im Jahr darauf war die Situation in Syrien noch viel schlimmer geworden und auch wir in Moadamiyeh hatten viele Gefangene und Opfer zu beklagen. Meine Freunde und ich entschieden uns, unsere Familien und unsere Mütter zu besuchen, es war Muttertag. Wir baten ein paar Kinder aus Moadamiyeh Zeichnungen anzufertigen, um sie unseren Müttern zu schenken. Als wir gerade damit beschäftigt waren, erhielt ich einen Anruf meiner Mutter, die mich bat, sofort nach Hause zu kommen.
Meine Schwägerin Mariam lag in den Wehen. Meine Mutter brauchte mich, um auf meine Nichten und Neffen aufzupassen, während sie mit Mariam und ihrer Mutter ins Krankenhaus fuhr. Ich war verärgert, weil ich nicht an der Muttertagsaktion teilnehmen konnte, die ich mit meinen Freunden geplant hatte.
An diesem Tag brachte Mariam einen Sohn zur Welt und nannte ihn Mohamad Khair. Alle sagten ihr, dass Mohamad das beste Muttertagsgeschenk sei, das sich eine Mutter wünschen könne.
Die Zeit verging und plötzlich befinden wir uns im Jahr 2016 und erneut am Tag, an dem wir Muttertag feiern. Mohamad Khair ist mittlerweile vier Jahre alt, eine Mutter hat er nicht mehr. Seine Eltern und sein Bruder starben 2013 durch eine Mörsergranate. Mohamad lebt mit meinen Eltern noch immer in Moadamiyeh, unter Belagerung.
Der Monat März, und mit ihm der Muttertag, jährten sich fünf Mal und jedes Mal schien sich die Lage in Syrien zu verschlimmern.
Meine Freundin Arwa sagte mir einmal, dass sie nicht mehr daran glaubt, dass es den Muttertag noch gibt. Arwa hat zwei wundervolle Töchter, fünf und acht Jahre alt. Als sie begriff, dass ihr Stadtteil wieder unter Belagerung fallen wird, musste sie die beiden zu einem Freund in einen anderen Vorort von Damaskus in Sicherheit bringen. Sie kann das Gebiet nicht verlassen, aufgrund der Kontrollstellen ist es ihr nicht möglich sich frei zu bewegen. Arwa hat ihre Töchter seit acht Monaten nicht mehr gesehen, obwohl sie nur sehr wenige Kilometer entfernt sind.
Ein anderer Freund kümmert sich derzeit um drei Kinder. Die Mutter wurde von einem Scharfschützen niedergeschossen und fiel im Krankenhaus ins Koma.
Es gibt Dutzende solcher trauriger Geschichten, die uns nun zu jedem Muttertag umso schmerzlicher ins Bewusstsein rücken: von Kindern, die ihre Mütter verloren haben und von Müttern, die ihre Kinder verloren haben.
Und dennoch, inmitten dieser Geschehnisse und der chaotischen Zustände, glauben viele Menschen in Syrien daran, dass es wichtig und wertvoll ist, all den Mut, die vielen Zugeständnisse und das unendliche Durchhaltevermögen der Mütter zu feiern, die die vergangenen harten Jahre überstanden haben. Diese Frauen verdienen es, wieder lachen zu können. So zerstreut syrische Familien derzeit auch sein mögen, Syrerinnen und Syrer versuchen an diesem Tag dennoch ihre Mütter anzurufen oder mit ihnen über Skype zu sprechen. Sie versuchen die Tradition zu wahren und ihren Müttern an diesem Tag zu danken.
Neben unseren eigenen Müttern müssen wir an alle syrischen Mütter denken, die inhaftiert und vor unseren Blicken verborgen sind. Kein Tag kann fröhlich sein, wenn so viel Dunkelheit zurück bleibt.