Foto: Boryana Ivanova
Foto: Boryana Ivanova

Refugee Voice: Mein zweites Leben

Technologie und Innovation haben mein Leben verändert und ich möchte mein Wissen mit allen teilen.

Von Boryana Ivanova, 09.05.2016

Heute feiere ich den Geburtstag meines zweiten Lebens. Am 27. April 2013 versuchte ich zwei Verletzte von einem Schlachtfeld zu bergen. Ich brachte sie zu einem Krankenwagen und leistete Erste Hilfe. Beim Fahrersitz angekommen, schlug eine Bombe in den Wagen und ich verlor mein linkes Bein. Ich dachte, ich würde sterben. Einige Sekunden lang konnte ich nichts mehr hören oder sehen. Überall war nur schwarzer Rauch. Fünf Sekunden nach dem ich all das Blut um mich herum realisiert habe, bemerkte ich mein verletztes Bein. Ich fürchtete, dass uns noch eine Bombe treffen könnte und wir alle sterben werden. Ich überlebte, glücklicherweise. Ein Freund barg mich aus dem Wagen und brachte mich ins Feldlazarett. Dort wurde ich operiert, um die Blutung zu stoppen. Die Ärzte erzählten mir, dass ich in den 20 Minuten, die zwischen der Explosion und meiner Ankunft im Krankenhaus vergingen, zwei Liter Blut verloren habe. Eine Bombe explodiert so schnell, es fühlt sich so an, als würde dich jemand mit einem Stück Holz niederschlagen. Die Bombe, die mich traf, stammt aus einem Militärlager des Regimes. Unser Wagen war mit großen roten Halbmonden gekennzeichnet (International Federation of Red Cross and Red Crescent), offensichtlich dass es sich um einen Krankenwagen handelte.

Ein Jahr vor diesem Ereignis begann ich als Sanitäter zu arbeiten. Seit dem Beginn der Proteste und Demonstrationen, wollte ich helfen, ohne Waffen und ohne Menschen zu töten. Ich beschloss Menschen zu retten. Als Sanitäter helfe ich allen Menschen – Zivilisten, Angehörigen der Freien Syrischen Armee, aber auch Soldaten des Regimes. Ich mache keine Unterschiede, für mich sind alle Menschen gleich. Ich fühle mich keiner religiösen oder politischen Bewegung verbunden. Wir halfen allen Menschen, unabhängig ihrer Religion.

Nachdem Soldaten des Regimes meinen Vater verhaftet haben und unaufhörlich nach mir suchten, floh ich in eine Stadt, die unter der Kontrolle der Oppositionellen stand. In diesem Gebiet mussten wir nur mit Bombenangriffen leben, was viel erträglicher war, als die systematischen Verhaftungen zuvor. In einem Feldlazarett, das zuvor als Gemüselager genutzt wurde, setzte ich meine Arbeit als Rettungssanitäter fort. Das war der sicherste Ort der ganzen Umgebung. Es befand sich unter der Erde und die Wände waren sehr dick. Selbst wenn das Regime dort Bomben abwerfen würde, wäre es noch sicher. Das notwendige Material schmuggelten wir aus dem Libanon und Jordanien. An Tagen starker Luftangriffe, mussten wir bis zu 100 Patienten versorgen, Frauen, Kinder, alte Menschen. Wir retteten zahlreiche Leben.
Nach meiner Operation beschloss mein Freund mich nach Jordanien zu schmuggeln, um eine bessere medizinische Versorgung zu erhalten. Die Operation im Feldlazarett fand unter der Beleuchtung von Smartphone-Taschenlampen statt, genäht wurde ich mit Elektrokabeln. In ein staatliches Krankenhaus in Syrien konnte ich nicht gehen, sofort wäre klar gewesen, wo der Unfall passierte und dass ich in irgendeiner Weise gegen das Regime involviert bin.
Mit weiteren zwölf Verletzten auf einem LKW, fuhr ich nach Jordanien. Zwei von ihnen starben noch bevor wir ankamen, unsere Reise dauerte drei oder vier Tage. Das nächste Jahr in Jordanien brachte ich mit einer Operation nach der anderen zu. Allein in den ersten zwei Monaten hatte ich 12 Operationen, alle drei bis vier Tage eine. Danach hatte ich schließlich eine Beinprothese und konnte eine Physiotherapie beginnen.

Eins kam zum anderen und ich lernte Menschen kennen, die mit 3D-Druck arbeiteten. Das änderte mein Leben. In einem kleinen Labor in Amman lernte ich Teile meiner Beinprothese zu designen und zu drucken. Es kostete mich zwei Euro und zwei Stunden. Wenn ich sie über einen Arzt bestellt hätte, hätte es zwei Wochen gedauert und 50 Euro gekostet. Als ich mit dem 3D-Druck begann, hatte ich keine Ahnung vom Programmieren oder Modellieren. Nach und nach lernte ich mehr und begriff allmählich, dass das meine Zukunft ist. Technologie und Innovation haben mein Leben verändert und ich möchte mein Wissen mit allen teilen. Vergangenen Monat bieten wir Kurse für Geflüchtete und Locals an, wo sie lernen Lösungen zu entwickeln, die ihr Leben entscheidend verändern – ob Prothesen, Herzschrittmacher oder Geräte zur Unterstützung sehbehinderter oder blinder Menschen.

REFUGEE VOICE ist ein Versuch, die Diskussion um Flucht und die Menschen, die flüchten, menschlicher zu machen und die häufig negative Wahrnehmung zu verändern. Boryana Ivanova möchte mit den Portraits und den persönlichen Geschichten zeigen, dass jeder Mensch seine eigenen Sorgen und Träume hat.

Übersetzung: Patricia Bonaudo

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