Alltägliche Technologie oder emotionale Stütze? Wie ein Smartphone Wunder vollbringt.
Von Friederike Aps, 30.11.2018Heimat kann Sehnsucht, Vergangenheit, Schmerz, Geborgenheit, Liebe bedeuten. Eine Suche, ein Gefühl oder eine Erinnerung. Für viele von uns ist Heimat etwas, wohin wir zurückkehren können. Aber eben nicht für alle. Manchmal ist eine Erinnerung alles, was noch bleibt. Für meine Freundin Leyla bedeutet Heimat die schmerzhafte Sehnsucht nach ihrer Mutter. Ihr Glauben verbindet sie mit ihrer Mutter. Ihr Vater, mit dem sie in Deutschland lebt, ist dagegen eher ein Zweifler. Für Leyla ist der Glaube ihr Ort der Geborgenheit, ihr Sicherheitsgurt, ihre Heimat. Manchmal scheint sie sich hinter ihm zu verstecken. Um ihrer Heimat ein Stück näher zu sein. Dann funktioniert der Glaube als Schutzschild. Leyla scheint immer genau zu wissen, was gut für sie ist und was nicht. Was sie darf und was sie nicht darf. Was sie will und was sie nicht will.
Die Sehnsucht nach Heimat, nach der eigenen Familie, nach Geborgenheit lässt sich schwer stillen, wenn die Familie in ganz Europa verteilt ist und getrennt voneinander versucht, ein neues Leben aufzubauen. In dieser Situation bedeutet Heimat für Leyla ihr Smartphone. Es ist ein Teil von ihr, ihre Familie in der Hosentasche. Das ist keine Zwischenlösung, sondern alles, was ihr momentan bleibt, um mit ihrer Mutter zu kommunizieren.
Leyla und ich sind jetzt schon knapp zwei Jahre befreundet. Wir reden nicht viel über Heimat. Hin und wieder fällt ihr eine Geschichte ein, sie erinnert sich oder sie vergleicht. Aber sie redet nicht in Bildern. Sie war mit der Schule fertig, hatte angefangen zu studieren, super Noten. Dann beschloss die Familie, Syrien zu verlassen. Seitdem rennt sie in Deutschland, so wie viele Geflüchtete, ihrem Leben hinterher. Zu Hause war sie einfach Leyla. Jetzt ist sie ein anderer Mensch. Sogar ihr Geburtstag hat sich verändert. Auf ihrem Ausweis, den sie hier bekommen hat, steht ein anderes Geburtsdatum als auf ihrem syrischen Pass.
Es gibt ein paar Dinge, die es ihr inzwischen leichter machen, einen Sinn in ihrem Leben in Deutschland zu sehen und sich heimischer zu fühlen. Sie hat ihre Ausbildung im Krankenhaus angefangen. Und sie wohnt seit ein paar Monaten nicht mehr in einer Gemeinschaftsunterkunft. Das bedeutet konkret, dass sie jetzt ein eigenes Zimmer hat. Für sie ist es eine enorme Erleichterung. Sie kann sich zurückziehen, hat ihre eigenen vier Wände. Ihr Vater konnte sich zunächst nicht mit der Lage anfreunden, da er einen sehr weiten Weg zur Arbeit hat. Er wollte die Wohnung gar nicht erst richtig einrichten, weil er eigentlich bald wieder umziehen wollte. Aber die beiden müssen endlich ankommen und sich ein bisschen mehr zu Hause fühlen. Leyla setzte sich durch und besorgte ein paar Möbel. Als ich sie besuche, erzählte sie mir aufgeregt von einem Streit, den sie mit einem Verkäufer hatte. Sie habe ausgehandelt, einen Schrank zu kaufen, in dessen Preis auch der Aufbau inbegriffen war. Der Lieferant weigerte sich zunächst. An der Tür konnten sich die beiden nicht einig werden, er wollte den vollen Preis, sie das Geld nicht herausgeben, solange der Schrank nicht stand. Schließlich ging sie aufs Ganze und warf ihm vor, sie nicht gerecht zu behandeln. Er drohte, die Polizei zu rufen. Sie blieb hart und ermutigte ihn, dies zu tun. Am Ende rief er nicht die Polizei und baute den Schrank für sie auf. Leyla ist kein Mensch, der schnell aufgibt. Sie ist immer unter Strom, achtsam. Und es fällt ihr schwer, Freunde zu finden, auf die Menschen zuzugehen.
Vor ein paar Monaten hat Leyla mit der Heimat telefoniert, ihrer Mama. Leyla erzählte gerade von ihrem Arztbesuch. Sie stand im Bus, in der Nähe der Tür. Der Bus war nicht voll und es gab genug Platz. Plötzlich schubste sie jemand von hinten. Sie fiel mit voller Wucht gegen die Bustür. Leyla reagierte wütend, sie schrie die Frau an, ob diese nicht reden könne. Leyla wurde unterstützt, einige Leute beruhigten sie, standen ihr bei. Der Schock saß tief. Sie lief weinend nach Hause.
Leyla ist im deutschen Alltag angekommen, sie erlernt einen Beruf, spricht die Sprache. Dabei hat sie vielleicht verlernt durchzuatmen. Sie gerät in Panik, wenn sie einen schlechten Tag hat und nicht alles versteht, was der Lehrer sagt. Manchmal zwingen sie dann schlimme Kopfschmerzen ins Bett. In diesen Momenten ist das Heimweh am größten, ihr Smartphone muss Abhilfe schaffen. Dann tröstet sie die Stimme ihrer Mutter.