Foto: Jason Leung / unsplash
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Deutschland, wir müssen reden

Zwischen dem deutschen Staat und seinen Bürger*innen kommt es zu Missverständnissen. Ein Dialogversuch.

Von Nadire Y. Biskin, 12.11.2018

„Wir müssen reden.“ Dieser Satz bedeutet in jeder Beziehung: „Oh, Oh!“

Es ist kein „Wir wollen reden“. Kein Gespräch bis spät in die Nacht mit einem Glas Çay in der Hand. Mit Musik von Hindi Zahra und Ibrahim Tatlıses im Hintergrund. Kein Gespräch auf der Couch, die Beine angewinkelt, den Kopf leicht schräg, dem anderen in die Augen schauend, ohne Anstrengung mit Hingabe. Es ist auch kein, „Wir sollten reden“. Kein Gespräch, das man auf die Zukunft vertagen kann. Es ist ein „Wir reden oder es passiert etwas, das wir nicht wollen“.

Das Gespräch findet an einem Holztisch in der Küche statt. Zwei Stühle stehen sich gegenüber. Seit ihrem ersten Tag in der Küche befürchten diese Stühle, für ein solches Wir-müssen-reden-Gespräch herhalten zu müssen. Auf dem Tisch Wasser und vielleicht Taschentücher. Taschentücher, die von der Person bereitgestellt wurden, die seit längerem weiß, dass dieses Gespräch ansteht. Die Person, die einem das Leben ungemütlich macht. Nicht passiv, nicht subtil, nicht hintenrum ungemütlich, sondern offensichtlich ungemütlich.

Diese Person bin ich, Deutschland.

Deutschland, wie in jeder Beziehung, gibt es auch zwischen dir und mir eine Asymmetrie. Am Anfang habe ich gehofft, das ausgleichen zu können, indem ich dich glücklich mache. Manche versuchen es in ihrer Beziehung mit Reisen, Reizunterwäsche oder Wellness. Ich habe es mit Deutschlernen probiert, mit Haare glätten, mit Fjällräven-Taschen tragen und einer Liebeserklärung, jeden Sommer in der Türkei, wenn die Verwandten nach dir gefragt haben. Einen Sommer bin ich nicht in die Türkei geflogen und habe das Geld in unsere Beziehung investiert, um ein Teil von dir sein zu können. Die Einbürgerungsurkunde hängt im Flur wie die Pärchenfotos im Wohnzimmer der Paare.

Eins muss man dir lassen, du hast das alles gesehen und anerkannt. „So eine Ausländerin wie dich möchte jedes Land haben. Du bist so gut integriert“, hast du gesagt. Jedoch spürte ich, es kam nicht von Herzen, es war deine Pflicht, mir das mitzuteilen und die hast du erfüllt, als du eingesehen hast, mir nicht absprechen zu können, dass ich auch meine erfüllt habe.

Mit den Jahren merkte ich, es geht nicht mehr so weiter. Ich wollte dich als Heimat seit Beginn meiner Integration im Kreißsaal vor 31 Jahren. Du wolltest mich als Fremde. Die Fremde ist meine Heimat, erinnertest du mich immer wieder.

Ich suchte nach dem Wort “Heimat“ in der Sprache meiner Mutter, die dir auch eine Fremde blieb. Der Sprache meiner Mutter scheint Heimat auch fremd zu sein, dennoch habe ich in dieser Sprache Assoziationen mit dem Wort. Ganz weit weg von Heimat, in der „gurbet“. „Gurbet“ ist dir wiederum nicht bekannt, genau so wenig wie mir Heimat. Schlechte Voraussetzungen für ein gutes Gespräch, wenn wir nicht die gleichen Worte kennen, wie sollen wir uns dann verstehen?

Wir müssen reden, Deutschland, nachdem ich nun dort hingegangen bin, wo du meinst, dass ich hingehöre. – Ja, du hast es richtig gehört, in die Türkei, in das Land mit einem Artikel davor, was den Abstand zwischen Präposition und Land vergrößert. Deutschland, sogar deine Sprache verrät mir so viel über dich und mich. Dort habe ich meine Beziehungspause verbracht. Ich habe die Zeit genutzt. Ich habe darüber nachgedacht, was ich von dir habe, wenn ich zurückkäme und was du von mir hast. Deutschland, bist du bereit an dir zu arbeiten, an unserer Beziehung, an dieser Asymmetrie zu arbeiten? Dann schreib mir einfach und wir finden noch einen Weg.

Nachtrag: Deutschland, ich habe doch noch die Heimat in der Sprache meiner Mutter gefunden. Sie heißt „memleket“.

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