Der Fotograf Michael Danner tritt mit seinem Fotobuch „MIGRATION AS AVANT-GARDE“ mit der politischen Philosophin Hannah Arendt in einen Dialog.
Von Maritta Iseler, 23.11.2018Michael Danner zeigt mit seinen Bildern die neuen Wege auf, die Migranten in der Hoffnung auf ein besseres Leben begehen. Auf der Suche nach Fortschritt, unter dem Einsatz des eigenen Lebens und angetrieben von der Sehnsucht, ihrem Leben eine Perspektive zu geben, bringen sie neue Sichtweisen und Denkansätze mit in unsere Gesellschaft.
Das Zuhause verlieren, die Vertrautheit des Alltags, den Beruf, die Sprache und die Ungezwungenheit: darüber schreibt Hannah Arendt, die 1941 in die USA immigrieren musste, in ihrem Essay „Wir Flüchtlinge“ (1943). Der Text inspirierte Michael Danner zu „Migration as Avant-Garde“. Die Vorgänge, über die Arendt vor mehr als siebzig Jahren schrieb, sind heute aktueller denn je, etwa: „Vor allem mögen wir es nicht, wenn man uns ‚Flüchtlinge‘ nennt. Wir selbst bezeichnen uns als ‚Neuankömmlinge‘ oder als ‚Einwanderer‘.“ (Reclam, 2018)
Dein Fotobuch trägt den Titel “Migration as Avant-Garde”. Wofür steht der Avantgarde Begriff?
Avantgarde ist die Vorhut, es bedeutet in der Kunst, neue Wege zu beschreiten, die bis dahin noch nicht gegangen wurden. Es ist ein Begriff, der Aktivität beschreibt. In Abbildungen sehen wir Migranten oft als passive und hilfsbedürftige Menschen. Tatsächlich sind sie aktiv, sie treffen Entscheidungen für ihr Leben, um diesem eine neue Richtung zu geben.
Was hat Dich zu der Serie bewegt?
Migration taucht in wiederkehrenden Zeiträumen immer wieder in der öffentlichen Diskussion auf. Jedes mal wird es politisch instrumentalisiert, die Neuankommenden werden zu Sündenböcken für verschiedenste Versagen. Migration ist aber nicht nur der Sommer 2015, in dem so viele Menschen auf einmal kamen. Bereits davor kamen Menschen zu uns: Spätaussiedler, Geflüchtete während des Krieges im ehemaligen Jugoslawien. Migration gehört zur Menschheitsgeschichte, sie ist Teil des Menschseins. Mit meiner Arbeit möchte ich einen Bogen schlagen, der über die aktuellen Ergebnisse hinaus verweist. Meine Fotografien verknüpfe ich dabei mit historischen Schwarzweiß-Bildern aus Archiven und Dokumenten der UNO zu einem Gesamtsystem.
Wo hast du fotografiert, und was war die größte Herausforderung?
Die Fotografien entstanden zwischen 2008 und 2017 in Deutschland, Gibraltar, Griechenland, Marokko, Rumänien, Spanien, Tunesien und der Türkei. Eine Herausforderung war Bilder zu konstruieren, die die gängigen Stereotype hinterfragen oder dekonstruieren.
Michael Danner studierte an der Fachhochschule Bielefeld und anschließend an der University of Brighton in England. Er lehrt an der University of Applied Sciences Europe, Fakultät Art and Design, in Berlin. Seine künstlerischen Arbeiten, die sich mit unserer Lebenswelt auseinander setzen, verfolgen einen politischen und anthropologischen Ansatz, bei dem er umstrittene Orte und Geschichten untersucht. Sein Werk wurde vielfach veröffentlicht und ausgestellt. Als Buchprojekt gewann „Migration as Avant-Garde“ 2018 beim Fotobookfestival Kassel den renommierten Dummy Award. Gerade erschien es bei Kettler, Dortmund. Mehr zum Projekt und Fotografen.