Fotografische Tagebücher

Ein Projekt der Fotografinnen Patricia Morosan und Doro Zinn sowie der Künstlerin Claire Chaulet lädt Frauen mit Fluchterfahrung ein, sich fotografisch mit Alltag und Vergangenheit auseinanderzusetzen. Wir sprechen mit Patricia Morosan über das Ergebnis des Projekts.

Von Juliette Moarbes, 28.05.2019
Eine Erinnerung? (Linda). Foto: privat

Idee der „Fotografischen Tagebücher“ ist es, für geflüchtete Frauen einen kreativen Raum zu öffnen, in dem sie ihren eigenen Biografien über das Medium Fotografie auf neue Art und Weise begegnen. Wie war eure Herangehensweise an das Projekt?

Die Hauptidee war ein Fotoprojekt, in dem sich, unter meiner Leitung, geflüchtete Frauen austauschen und gemeinsam neue Perspektiven auf ihre Lebenssituationen entwickeln können. Wie sehen ihre Umgebung und die Räume aus, in denen sie wohnen? Wer sind die Menschen, die sie treffen? Welche Perspektive hatten sie bei der Ankunft im neuen Land auf ihre Umwelt, und wie lässt sich das fotografisch festhalten? Mit diesen Fragen wollten wir künstlerische Reflexionsmöglichkeiten über die Situation geflüchteter Frauen in Deutschland eröffnen. Als Fotografin hat es mich interessiert, diese fotografische Perspektive auf den Neuanfang zu begleiten.

Bei den aktuellen „Tagebüchern“ handelt es sich bereits um den zweiten Teil der Serie. Im ersten, der auch als Ausstellung gezeigt wurde, haben Frauen aus dem Irak und Afghanistan teilgenommen. Die Teilnehmerinnen im zweiten Teil stammen nun aus afrikanischen Ländern. Wie habt ihr sie gefunden?

Für dieses Projekt waren Vorgespräche mit den Sozialarbeiter*innen der Notunterkunft Rathaus Friedenau sehr wichtig: Über sie sind wir mit den Frauen in Kontakt gekommen. Es gab Informationstreffen, um die Frauen über das Projekt aufzuklären, Fragen zu beantworten und sich nach dem generellen Interesse am Projekt zu erkundigen.

Gab es technische und bürokratische Hürden, die ihr oder die Teilnehmer*innen überwinden mussten?

Dank der Unterstützung vom Paritätischen Bildungswerk und von Artistania e.V. war die Teilnahme kostenlos. Einzige Voraussetzung war die Motivation, über sechs Monate dreimal im Monat am Projekt teilzunehmen. Alle Teilnehmerinnen waren jedoch erst vor weniger als einem Jahr in Deutschland angekommen; ihre Aufenthaltsrechte waren meist ungeklärt, was die Frauen am Anfang hinderte, sich ganz auf das Projekt einzulassen.

Viele von ihnen wurden in neue Heime versetzt, einige hatten Angst abgeschoben zu werden und konnten nicht regelmäßig am Projekt teilnehmen. Oft hatten sie ganz andere Sorgen, als sich mit Fotografie oder Selbsterkundungen zu beschäftigen. Für mich war schnell klar, dass innerhalb der Workshops auch Zeit für Beratung zu verschiedensten Alltagsthemen notwendig war: Zugang zu Internet, Verhütung, Anwälten etc. Viele Fragen konnten wir nicht beantworten, also stellte ich auch Kontakte zu rechtlicher und psychologischer Hilfe her. Uns war wichtig, dass der Workshop eine Gelegenheit bot, den Frauen die Möglichkeiten und Netzwerke in Berlin aufzuzeigen.

Wir konnten insgesamt zwölf Frauen für das Projekt gewinnen. Acht davon haben bei der Ausstellung und beim Buchprojekt mitgemacht. Für die meisten war es die einzige Aktivität außerhalb der Deutschkurse, die sie wahrnahmen.

Am Ende des Projekts habt ihr ein Fotobuch zusammengestellt und eine Gemeinschaftsausstellung konzipiert. Wie wurden die Bilder ausgewählt, welche Aspekte waren euch wichtig?

Im ersten Monat haben wir die Struktur des Workshops besprochen und entschieden, dass wir gemeinsam an einem Fotobuch arbeiten werden, das das Konzept des „Poesiealbums“ beinhaltet. Dafür haben wir gemeinsam Fragen formuliert, die die Teilnehmerinnen und Workshopleiterinnen im Buch beantworten. Verschiedene Fragen haben uns in dieser Zeit beschäftigt – Fragen, die sich mit Hoffnung, Traurigkeit, Liebe, Glück, Heimat oder Familie auseinandersetzen. Die Antworten darauf flossen in Form von Fotografien und Texten in unser „Poesiealbum“ ein.

Während des Workshops haben wir auch ein Studio aufgebaut und uns gegenseitig fotografiert. Die Porträts, die dort entstanden sind, kommen sowohl in der Ausstellung als auch im Buch vor. Die Teilnehmerinnen haben auch eigene Fotografien eingebracht, die sie während der Flucht oder in der vorherigen Heimat zeigen. Einzelne Fluchterfahrungen wurden dadurch sichtbar, und über Geschichten zu den Bildern wurden biografische Fragmente jeder einzelnen Teilnehmerin herausgearbeitet.

Jemand der dir nah ist? Foto: privat
Hast du ein Geheimnis ? Foto: Linda
Tableaux Linda. Foto: Projekt
Etwas das dich zum weinen bringt? Foto: privat
Tableaux Vivianne. Foto: Projekt
Etwas, dass Du immer bei dir hast? Foto: privat
Tableaux Kadiatou. Foto: Projekt

Patricia Morosan studierte Filmwissenschaft, Kunstgeschichte und Kommunikationswissenschaft an der Universität Bukarest und an der Freien Universität Berlin sowie Fotografie an der Ostkreuzschule für Fotografie und Gestaltung in Berlin.

Seit 2016 unterrichtet sie den Workshop „Fotografische Tagebücher“, ein kreatives Projekt für geflüchtete Frauen. Seit 2017 ist sie Teil des internationalen Fotokollektivs „Temps Zero“ und des Berliner Künstlerkollektivs „Artistania “.

Sie hat 2014-15 die Ausstellung „Devour! Sozialer Kannibalismus, Politische Neudefinierung und Architektur“ in Berlin (Z/KU, Freies Museum Berlin und Lichtblick Kino) und in Leipzig (KunstKraftWerk, Luru Kino in der Spinnerei) organisiert und  kuratierte dafür die Filmreihe. 2015 betreute sie als Kuratorin die Fotoausstellung „Welcome to my Dark “ in Kunstraum Kreuzberg Bethanien – Komplizenraum.

Ihre Fotos wurden bei zahlreichen Fotofestivals gezeigt: Lodz (Polen), Bursa Fotofest (Türkei) oder Les Recontres photographiques de Montpellier (Frankreich) sowie in Galerien in Berlin (Aff Galerie, Galerie Alte Feuerwache, Bildband Berlin, The Shelf), Leipzig (anderthalb Galerie), Athen (TAF Metamatic, KET Television Center), Bozen (FotoForum), Minsk (Fotosquat) und Paris (Atelier Varan). Patricias Bilder finden sich zudem im Schwarz Weiss Magazin, Die Nacht Magazin, British Journal of Photography, burn magazine, ID-Magazine, Fisheye Magazine und Lomography Magazin.

Im November 2017 präsentierte sie ihr erstes Fotobuch und 2019 erhielt sie den Prix Jury (New Talents of European Photography) für ihre Arbeit „(I) Remember Europe“ bei den Boutographie Festival – Recontres photographiques de Montpellier.

Mehrüber die Fotografin Patricia Morosan und ihre Projekte finden sich hier.

Und hier geht es zur Seite des Künstlerkollektivs Artistania.

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