Foto: Boryana Ivanova
Foto: Boryana Ivanova

Refugee Voice: Es lohnt sich nicht, nur für die Arbeit zu leben

Die Situation in Syrien tötet das Menschliche in dir.

Von Boryana Ivanova, 18.08.2016

„Ich habe während des Krieges so viele Freunde verloren – sie zu zählen überfordert mich. Eines Tages war ich mit meinem Freund unterwegs, als ein paar Panzer vorbeifuhren und anfingen, zu schießen. Die Leute rannten um ihr Leben. Plötzlich war mein Freund verschwunden. Als ich mich umdrehte, sah ich ihn auf dem Boden liegen. Einige Tage später sagte mir seine Familie, dass er tot sei. Ein paar Wochen darauf war ich mit meinen Freunden auf dem Markt. Einer alberte herum, lief aus Spaß hin und her, vor und zurück. Dann bog er um eine Ecke und in just diesem Moment fiel genau an der Stelle eine Bombe. Er war gerade mal 10 Meter von mir entfernt. Die Situation in Syrien tötet das Menschliche in dir. Entweder killst du deine Gefühle oder deine Gefühle killen dich. Du musst dich entscheiden. Es dauert nur wenige Monate, und du fängst an, all das Schreckliche und den Tod als etwas Normales zu sehen. Es schleicht sich in deinen Alltag, und du stumpfst ab, wirst innerlich leer.

In Deutschland angekommen, wollte ich alles ausprobieren, alles kennenlernen, nichts auszulassen. In Berlin trank ich zum ersten Mal in meinem Leben Alkohol. Nach einer gefühlten Ewigkeit konnte ich zum ersten Mal bis 9.00 Uhr schlafen. Das Leben ist sehr kurz, wenn möglich sollte man es in vollen Zügen genießen. Ich habe einen erheblichen Teil meines Lebens damit verbracht, zu arbeiten und mit einem Wimpernschlag alles verloren. 2004 beendete ich mein Studium, sammelte Erfahrungen und gründete 2007 eine eigene Firma – Bau, Design und Dekoration. Die ersten vier Jahre habe ich von 8.00 Uhr morgens bis spät in die Nacht ohne einen freien Tag gearbeitet. Manchmal kam ich erst um 2.00 Uhr nachts nach Hause. Zwei Tage Urlaub für die wichtigsten muslimischen Feiertage, mehr habe ich mir nicht gegönnt. Es lohnt sich nicht, nur für die Arbeit zu leben.“

REFUGEE VOICE ist ein Versuch, die Diskussion um Flucht und die Menschen, die flüchten, menschlicher zu machen und die häufig negative Wahrnehmung zu verändern. Boryana Ivanova möchte mit den Porträts und den persönlichen Geschichten zeigen, dass jeder Mensch seine eigenen Sorgen und Träume hat.
Übersetzung: Katja Doubek

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