Razan Sabbagh bringt mit ihrer von Musik begleiteten Malerei ein Stück Syrien auf deutsche Bühnen. Mit ihrer Kunst findet sie neue Freiheit, Gleichgewicht, Schönheit und damit auch Hoffnung.
Von Youmna AlDimashqi, 09.11.2017Der Beginn eines Traumes.
Razan Sabbagh schloß ihr Studium an der Fakultät der Schönen Künste der Universität Damaskus im Jahre 2011 ab und eröffnete dort ein Designstudio. Bald sah sie sich jedoch gezwungen, Syrien in Richtung Saudi-Arabien zu verlassen. Von dort suchte sie nach Wegen, ihren Traum zu verwirklichen, noch ohne zu wissen, ob dies in Deutschland klappen würde. Im April 2013 gelang es ihr schließlich, ein Visa für Deutschland zu bekommen. Dort begann das Leben langsam wieder Razan zuzulächeln – aber nicht von Anfang an. Besonders das erste Jahr war sehr schwer: eine neue Gesellschaft, eine neue Umgebung, eine neue Sprache. Aber auch wenn die deutsche Gesellschaft nicht die war, in der sich Razan ein Leben vorstellen konnte, schien sie doch die perfekte Umgebung, um ihrer Arbeit nachzugehen. Schließlich wurde Deutschland ihre Heimat – ein Ort, der es ihr möglich machte, einen Traum zu leben und eine Existenz zu gründen. Razan widmete sich im ersten Jahr dem Erlernen der deutschen Sprache und begann daraufhin, eine Arbeit zu suchen. Dies gelang ihr mit nicht allzu großen Schwierigkeiten. Bald fing sie in einer Werbeagentur an und nahm wieder an Ausstellungen teil. Sie versuchte, sich ein Leben aufzubauen, in dem die Ästhetik der Kunst und die durchlebten Krisen nebeneinander existieren konnten.
Die Schönheit ist immer noch da, in uns.
Razan hat in Syrien gelebt und gesehen, wie es sich veränderte – und sie sich selbst mit. Sie findet keinen Abstand zu dem, was in Syrien geschah und bis heute geschieht – die Revolution, der Krieg, die Flucht. Und die Frauen mittendrin. So floh Razan in die Live-Malerei, um ihre Botschaft zu verbreiten und kombinierte auf der Bühne Malerei mit Musik. Eine ihrer ersten Vorstellungen in Deutschland trug den Titel „in uns“ und wurde 2014 auf einem Hamburger Spielplatz fünf Tage lang gezeigt. Die Bilder zeigen Momente im Leben syrischer Frauen, die versuchen, das Gleichgewicht zu bewahren, im Angesicht aller Verluste, Schmerzen und der Dunkelheit, die sie umgibt. Sie zeigen die Bemühungen, aus ihrem Inneren heraus schön und stark zu sein. Denn die Schönheit sei immer noch da, in uns. Der Großteil der Einnahmen dieser Vorstellungen ging an Initiativen für syrische Flüchtlinge oder humanitäre Organisationen, die Entwicklungsprojekte in Afrika im Kampf gegen Wasserknappheit unterstützen.
Die Künstlerin ist der wahre Gegenstand ihrer Kunst.
Nach Hamburg folgten Ausstellungen in Deutschland und Europa – Köln, Oslo, Maastricht und Amsterdam. Livemusik begleitete ihre Kunst und bewegte die Menge dazu, ihr und der Geschichte, die sie mit ihren Farben erzählte, zu folgen. Sie spricht immer noch an, was in Syrien passiert ist und weiterhin ständig passiert. Seit Razan Kunst macht, steht bei ihr zudem die Frau im Mittelpunkt – ihre Träume, ihre Krisen, ihre Rechte. Sie lädt Frauen ein, so zu sein, wie sie sein wollen, und sich nicht nach anderen zu richten. Sie sollen sich nicht zu Makeup und Modelinien gezwungen sehen. Razan ermuntert Frauen dazu, natürlich zu sein. In ihrer Erzählung benutzt sie dazu Beauty-Werbung, die sie übermalt. Dazu sagt sie: „Ich kritisiere die Quantität der Werbung, die mit den Gefühlen der Frau spielt und sie dazu drängt, ein Instrument für die Vermarktung von Produkten zu werden. Ich ermuntere sie, sich davon zu befreien.“
In jedem Gemälde findet sich auch ein Teil von Razan selbst. Und ihren Ausdruck, ihre Erfahrungen sieht sie als etwas, das viele Menschen aus Syrien mit ihr teilen. „Ich habe die Themen meiner Bilderreihe ‚The Journey #01‘ aus meinen eigenen Erlebnissen geschöpft. Die Bilder behandeln Themen von Verlust und Zerfall bis hin zu Hoffnung und Leben.“ Sie fügt hinzu: „Ich erlebte Verluste, die sich in meinen Bildern widerspiegeln und ich denke, dass jeder Syrer, ob er sich aufmacht und sein Land verlässt oder ob er sich entscheidet zu bleiben, diese Erfahrungen macht. Nachdem ich in Deutschland ankam, habe ich mich Schritt für Schritt verändert und die Fremde wurde zur Heimat. Ich habe hier gelernt, dass die Heimat der Ort ist, an dem ich mein Leben gestalten, meine Träume verwirklichen kann. Der Ort, den ich in mir trage und als beständig wahrnehme. Heute lebe ich nicht in den Erinnerungen der Vergangenheit, ich habe angefangen ein Gleichgewicht zu finden, in Deutschland. Hier male ich das, was ich in meinem Land nicht malen kann, und drücke mich mit aller Freiheit aus, ohne das ich Fesseln spüre, die mich festhalten.“
Syrien lebt auch auf der Leinwand.
„Die Geschichte Syriens“ unter dem Titel „still alive“ gehört zu den wichtigsten Vorstellungen Razans in Deutschland. Sie wurde auf einer der wichtigsten Bühnen Hamburgs, im Kampnagel, mit einer Gruppe von Musikern aufgeführt. Razan holt eine über tausend Kilometer entfernte, schöne Stadt mit sanften Lichtern auf die Bühne und gleichzeitig steigen Revolutionsrufe und -hymnen auf, energisch und hoffnungsvoll. Dann zieht eine schwarze Wolke auf und die Musik weicht den Geräuschen des Krieges und der Bomben. Die Szene wird von zwei Farben bestimmt: Rot und Schwarz. Und nachdem der Schmerz jeden Zuschauer der Vorstellung erreicht hat, kehren die fröhlichen Farben und mit ihnen die Hoffnung zurück und die Musik beginnt von Neuem. Razans Live-Malerei ist wie das Tragen einer Kamera bei einer Kriegsdokumentation, nur eben durch das Medium der Kunst. Denn jeder von uns hat seinen eigenen Weg, die Wirklichkeit zu beschreiben und zu vermitteln.
Während einer anderen Aufführung Razans, zuletzt in Köln, malt sie eine Stadt, die ihre Wurzeln über eine Mauer hinweg in die Erde streckt, ein Volk das Erde und Heimat sucht. Im Klang der Musik transportiert sie die Stimmen des Krieges und die Gespräche der Ertrunkenen im Meer. Sie endet schlafend – auf den Wurzeln ihrer Stadt. Denn „auch wenn unsere Stadt zerstört wurde, auch wenn wir ihr fern sind, das Leben breiten wir noch immer von ihren Wurzeln aus.“ „Es war mir nicht möglich, das alles in meinem Land zu malen, denn dort gibt es Fesseln für die Malerei, so wie es sie für Lyrik und Prosa gibt. Hier kann ich allem freien Lauf lassen und mir meiner Freiheit und Botschaft sicher sein“, sagt Razan und schließt ab: „Ich bin glücklich, etwas für mein Land tun zu können. Jedes Mal wenn ich eine Performance gebe und sehe, wie die Menschen währenddessen mit mir interagieren, spüre ich, dass ich etwas Wichtiges beitrage. Und während all der Vorstellungen und Bilder kann ich die syrische Revolution in die Köpfe der Menschen zurückholen und betonen, dass es eine friedliche Revolution war und kein Terror. Mehr noch glaube ich, dass meine Arbeit nicht nur ein Beruf ist, sondern eine globale Sprache.“ Vielleicht hat Razan einen Teil ihrer Freiheit erlangt, als sie nach Deutschland kam, aber noch immer kämpft sie mit ihrer Kunst für die Freiheit ihres Volkes und damit auch ihre eigene.