Das positive Testergebnis

Ich hätte niemals gedacht, dass ich auf einer Toilette solch schweren Gedanken nachhängen würde: „Will ich das Kind?“

Von Dima Albitar Kalaji, 26.01.2016
Dima Kalaji. Foto: Ayse Tasci
Dima Kalaji. Foto: Ayse Tasci

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Eins, zwei … sieben. Es ist das siebte Mal, dass ich den Schwangerschaftstest mache – und ja, er ist schon wieder positiv.

„Egal, wie oft du es noch versuchen wirst, er wird positiv sein, ich dachte, wir wollten das so, oder etwa nicht?“ sagt mein Mann von der anderen Seite der Badezimmertür.

Ich hätte niemals gedacht, dass ich auf einer Toilette solch schweren Gedanken nachhängen würde: „Will ich das Kind?“

Mein erster Besuch bei der Gynäkologin nach dem positiven Testergebnis war ein Alptraum. Und der danach auch. Jeder Besuch war ein Alptraum. Meine freundliche Berliner Gynäkologin war jedes Mal überrascht über meine aufgeregte Reaktion, wenn sie mir mitteilte, dass meine Schwangerschaft sich gut entwickelte.

Wie kann ich einer Gynäkologin in Berlin erklären, dass wir auf jeder Demonstration, an der ich in Damaskus teilnahm, von der Polizei mit einem Gas beschossen wurden, von dem wir nicht wussten, was es ist? Dieses Gas bringt dich nicht nur dazu, dir die Augen auszuweinen und so stark zu husten, dass es sich anfühlt, als würde es deine Lunge zerfetzen, es brennt auch so stark auf deiner Haut und zieht sie so sehr zusammen, bis du das Gefühl hast, dass sie am ganzen Körper aufreißt.

Unsere kleine Wohnung in Damaskus war nur zehn Minuten entfernt, von dem Ort, wo Al-Assads Armeen mit chemischen Waffen angriffen. Ich konnte damals kaum atmen und ich weiß nicht genau, ob das nur an den Nachrichten lag oder ob ich getroffen wurde.

Ich habe den brennenden Rauch und den Gestank all dieser Waffen eingeatmet, deren Namen ich nicht kenne. Nun, zwei Jahre später, in einer Stadt, sehr weit entfernt, von dort, wo ich herkomme, frage ich mich, ob all dies schädlich für mein Baby sein könnte.

In der momentanen Situation beschließen viele Syrerinnen und Syrer, dass sie besser keine Kinder mehr in diese Welt setzen. Als Aufforderung zur Kinderlosigkeit, sagte einmal ein Freund, dass jedes Paar, das ein syrisches Kind zur Welt bringt, wegen versuchtem Mord angeklagt werden sollte.

Ich muss zugeben, solche Gedanken lagen mir noch im vergangenen Jahr nicht fern. Aber jetzt, jetzt halte ich ein Ultraschallbild meines Babys in meinen Händen.

Und da ist sie wieder, die Frage: Will ich das?

Welche Ausweispapiere wird mein Kind haben? Sie wird definitiv nicht als Deutsche angesehen werden, aber die syrischen Papiere wird sie auch nicht haben können.

Wo wird ihr Heimatland sein? In Deutschland oder in Syrien?

Wird mein Baby einmal in der Schule und unter ihren Freunden als Geflüchtete betrachtet werden?

Möchte ich ihr diesen schwierigen Identitätskonflikt antun?

So viele Fragen, die auf einer Toilette beantwortet werden sollen!

Nach all diesen Gedanken und Fragen, würde wahrscheinlich kaum jemand vermuten, dass ich dieses Kind behalten möchte, aber ich will.

Bis zum Ende meines Lebens werde ich mit einer Frage und ohne Antwort leben müssen: Was haben wir falsch gemacht, dass wir diesen unglaublich grausamen Krieg verdienen? Ist es zu viel verlangt, von einem Heimatland zu träumen, wo Menschen sich einfach als Menschen fühlen dürfen und nicht nur als Nummer, von einer törichten Diktatur beherrscht, die mit Angst und Demütigung regiert?

Vielleicht wird mein Baby dort Erfolg haben, wo wir versagten. Ich werde ihr die Geschichte der tapferen Syrerinnen und Syrer erzählen, die das Leben so sehr liebten, dass sie dafür starben. Vielleicht werde ich den Tag, an dem die Syrerinnen und Syrer, das Heimatland bekommen, von dem sie geträumt haben, nicht mehr erleben, aber sie wird es.

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