„Der Antragsteller wird aufgefordert…“

Abas hat einen Ablehnungsbescheid erhalten. Ein Schock, denn nach einer langen Odyssee von Eritrea nach Deutschland schien er endlich in Sicherheit. Doch die ist bedroht. Er soll das Land verlassen.

Von Katja Doubek, 22.06.2017
Abbas Salih 2017. Foto: Privat
Abbas Salih 2017. Foto: Privat

Der Asylantrag von Abas Ahmed Salih ist abgelehnt. Die Begründung: eine Anhörung am 7. April 2017, während der der Antragsteller nicht glaubhaft nachweisen konnte, dass er schutzbedürftig ist. Abas ist schockiert. Es gab keine Anhörung am 7. April 2017, Es gab kein Schreiben. Es gab keinen Termin. Der Anwalt klagt. Im Anwesenheitskalender der Schule steht: Abas hat am 7. April. 2017 den Unterricht in Landsberg besucht, kann also unmöglich zeitgleich in München bei einer BAMF-Anhörung gewesen sein.

Als Sohn freier Eltern 1995 legal in Keren, Eritrea, geboren, ist Abas zwei Jahre alt, als seine Mutter sich das Leben nimmt. Kurz darauf wird der Vater Opfer des Regimes und verschleppt. Abas und seine Schwester Halimah sind allein. Ein Bekannter bringt sie nach Addis Abeba. Hier lebt der befreundete Mann mit seiner Frau und zwei Kindern. Die Frau hält nichts vom plötzlichen Familienzuwachs und zeigt dies auch. Gefährliche Zeiten. Addis Abeba ist voll von eritreischen Flüchtlingen. Als Illegale haben sie keinen Zugang zu Medizin und Arbeit. Aufgegriffen von der Polizei, drohen Gefängnis, Folter und manchmal sogar der Tod. Die inzwischen dreizehnjährige Halimah hat große Angst. Sie flieht in den Sudan. Ohne seine Schwester ist Abas schutzlos. Die Hausherrin hält ihn wie einen Kindersklaven. Täglich Schläge, Demütigungen und Essenentzug.

2010 – Abas ist 15 Jahre alt. Das Leben im Haus ist unerträglich. Die Sehnsucht nach Halimah auch. Abas entwendet Geld und wagt die Flucht nach Khartum. Er sucht seine Schwester. Vergeblich. Doch Abas gibt nicht auf. Er findet einen Putzjob in einer Cafeteria. Er schuftet, 16 Stunden täglich für ein Existenzminimum und schläft auf der Straße, um Geld zu sparen. Immer wieder wird Abas Opfer von Überfällen, zusammengeschlagen und bestohlen. „Sie haben mir viele Male das Geld weggenommen, aber ich konnte es niemand sagen“, erzählt er. Keine Papiere, keine Rechte. Illegale können sich nicht an die Polizei wenden, da sie sonst im Gefängnis landen würden.

Fünf Jahre sucht Abas nach seiner Schwester, doch Halimah bleibt verschwunden. Abas entscheidet, den Sudan zu verlassen. Er hat etwas Geld gespart, deponiert einen Teil bei einer Freundin. Schlepper bringen ihn von Khartum bis zur Grenze und von dort durch die Wüste nach Libyen. 28 Menschen auf der Ladefläche eines Pickups. Einige sterben. Abas hat Todesangst, fürchtet, die Fahrt nicht zu überleben. Erschöpft erreicht er Benghazi, versucht sich zu orientieren und gerät in eine Polizeikontrolle. Er landet im Gefängnis.

Im Gefängnis gab es zwei Käfige aus dicken Eisenstangen. In dem einen etwa 50 Männer, im anderen 50 Frauen und Kinder. Es war so eng, dass immer nur einige sitzend schlafen konnten. Die anderen standen. Das Wachpersonal war brutal und sadistisch. Sie tranken und nahmen Drogen. Fast jede Nacht holten sie Frauen und Kinder aus der Nebenzelle und vergewaltigten sie vor der Männerzelle. Alle mussten es sehen. Die Frauen und Kinder schrien. Männer, die protestierten, wurden aus der Zelle geholt, mit Elektroschocks und Schlägen und Verbrennungen gequält. Sie kamen auch einfach so und holten uns, um zu foltern. Fast jede Nacht.“

Aus dem Gefängnis heraus knüpft Abas Kontakt nach Khartum. Die Freundin sorgt dafür, dass sein Geld an die richtigen Stellen gelangt. Abas wird freigelassen und schafft es nach Tripolis. Aus Angst vor der Polizei taucht er unter. Schlepper organisieren einen Platz auf einem Fischkutter. Panisch, bei der geringsten Bewegung zu kentern, sitzen 300 Menschen reglos fast den ganzen Tag in einer ‚Nussschale’. Endlich! Der Pilot eines Hubschraubers funkt Hilfe herbei. Die Geflüchteten werden von einem Rettungsschiff aufgenommen. Ende Juni 2015 ankert das Schiff vor der italienischen Küste.

Am nächsten Morgen sollen die Neuankömmlinge in einem Auffanglager in Rom registriert werden, aber Abas will seine Fingerabdrücke nicht in Italien lassen. Er hat gehört, dass vielen Flüchtlingen hier Obdach- und Arbeitslosigkeit drohen. Noch in der Nacht flieht er mit einer Gruppe Eritreer aus dem Lager und erreicht den Hauptbahnhof Rom. Ohne Geld steigt er in den nächsten Zug nach Mailand. Schaffner weisen ihn mehrfach aus der Bahn. Abas steigt aus und in den nächsten Zug wieder ein – immer wieder – bis er Mailand erreicht. Helfer spenden Essen und Kleidung.

Juli 2015. Versteckt in Zugtoiletten fährt Abas nach München. Er wird in ein Auffanglager gebracht und wenig später nach Fuchstal-Leeder verlegt. Abas spricht ein wenig Englisch. Er hilft den Ehrenamtlichen bei Übersetzungen und fängt an, Deutsch zu lernen

21. Januar 2016. Anhörung beim Bundesamt für Migration. Im Rahmen meiner ehrenamtlichen Tätigkeit begleite ich Abas. Er ist furchtbar nervös. Der Dolmetscher ist feindlich unpräzise. Abas überwindet sich, beschreibt die Gräuel seiner Inhaftierung. Der Dolmetscher macht daraus: „Er war fünf Monate im Gefängnis.“ Ich unterbreche. Die Anhörerin rügt den Übersetzer. Abas sammelt sich und wiederholt die Geschichte so gut er kann auf Englisch. Im Protokoll steht später ein Halbsatz: „… war er fünf Monate im Gefängnis.“

14. März 2016. Abas soll eine Sprachprüfung ablegen. Wir warten – stundenlang. Plötzlich eine hektische Stimme: Alle Anwesenden sollen sofort das Gebäude verlassen!

Ein Mannschaftswagen fährt vor, bewaffnete Polizisten stürmen die Treppen hinauf. Im oberen Stockwerk gibt es Probleme. Verschreckte, entsetzte Menschen laufen aus dem Gebäude. Es herrscht Chaos. Abas und ich bleiben im Empfangsraum. Abas weigert sich das Gebäude zu verlassen Er braucht eine Bescheinigung, dass er auf dem Amt war. Ohne, so fürchtet er, wird er von der Schule gewiesen. Nach einer halben Stunde kommt eine Angestellte. Eine Stunde später haben wir schließlich einen Zettel mit Stempel in der Hand. Schuldlos ausgefallene Termine werden auf jeden Fall nachgeholt, heißt es darauf. Doch Abas wartet über ein Jahr auf eine erneute Einladung des Amtes.

„Dreh dich zur Sonne, lass die Schatten hinter dir“, sagt ein eritreisches Sprichwort. Abas versucht genau das und macht alles richtig. Er lernt und spricht Deutsch, geht zur Schule, wird demnächst seinen Abschluss machen. Er hat einen unterschriebenen Ausbildungsvertrag für eine Lehrstelle in seinem Traumberuf Koch in der Tasche. In seiner Freizeit singt er in einer Band und spielt im örtlichen Fußballverein.

Abbas singt in seiner Freizeit in einer Band.Foto: Privat
Abbas singt in seiner Freizeit in einer Band. Foto: Privat

April 2017. Statt der Einladung zur Anhörung kommt der Ablehnungsbescheid.

Ob Willkür, Überforderung, Inkompetenz, Ignoranz, Gleichgültigkeit oder alles zusammen – nichts davon kann und darf Grundlage für die Entscheidung über ein Schicksal sein, möglicherweise über Leben und Tod!

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