Refugee Voice: Ich liebe mein Land, aber ich will nicht kämpfen

Ich habe Angst, dass die Leute hier mich nicht mögen und nicht akzeptieren.

Von Boryana Ivanova, 15.09.2016
Foto: Boryana Ivanova
Foto: Boryana Ivanova

„Ich bin aus Syrien in die Türkei geflohen. Dort habe ich fünf Monate lang nach Arbeit gesucht. Aber alles, was ich fand, war ein Job als Zeitungsverkäufer. Für einen Euro am Tag. Ich liebe mein Land, aber ich will nicht kämpfen. Deswegen bin ich im Februar dieses Jahres mit meinen beiden Brüdern geflüchtet. Der Tod meines besten Freundes hat als ein Schlüsselerlebnis zu meiner Flucht geführt. Er war Aktivist und hat in der Befreiungsarmee gekämpft. Dort war er eingetreten, nachdem Assads Militär seine Heimatstadt zerstört hatte. Außerdem engagierte er sich in den sozialen Medien und organisierte Leute, die sich gegen die Regierung zur Wehr setzen. Eines Tages sah ich ein Video auf “You Tube” … ich sah ihn, wie er mit einem Schuss ins Herz ermordet wurde. So etwas Entsetzliches habe ich noch nie in meinem Leben gesehen.

Unsere Eltern wollten, dass wir in der Türkei bleiben, weil die Überfahrt nach Griechenland sehr gefährlich ist. Deswegen haben wir uns auf den Weg gemacht, ohne es ihnen vorher zu sagen. In Serbien gab ich mein ganzes Geld einem Schlepper. Er sollte uns nach Österreich bringen. Er nahm das Geld und machte sich aus dem Staub. Sie setzten uns unter einen Baum, sagten, dass wir uns nicht rühren sollten und verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Das war die kälteste Nacht meines Lebens, wir haben so gefroren. Wir riefen den Schlepper an, aber er ging nicht dran. 1450 Euro hatte jeder von uns bezahlt. Ich wusste, dass wir das Geld bösen Menschen gaben, und ich tat es sehr ungern, aber wenn wir Deutschland erreichen wollten, bestand keine andere Möglichkeit. Wir liefen fünf Stunden zu Fuß und trafen im Wald ein paar andere Leute. Sie befahlen uns, nicht miteinander zu sprechen, uns nicht umzuschauen und nicht anzuhalten. Irgendwann warf ich einen Blick nach hinten und konnte meinen Bruder nicht mehr sehen. Ich wusste, dass ich nicht rufen durfte, aber ich musste ihn finden. Also kehrten wir um und haben ihn schließlich entdeckt.

Zuerst kam ich nach München. Ich konnte mich überhaupt nicht verständigen, weil kein Mensch Englisch mit mir sprach. In Berlin dagegen sind die Leute ausgesprochen freundlich, und ich mag sie sehr. Bevor ich nach Berlin kam, hatten mich Freunde gewarnt, die Stadt sei sehr schmutzig und es lebten viele arme Menschen dort. Am Anfang mochte ich Berlin nicht, aber jetzt schon. Allerdings ist hier vieles sehr anders als Zuhause. Die Menschen sprechen nicht miteinander, sie telefonieren die ganze Zeit. In Syrien habe ich viele Freunde: hier habe ich nur meine Brüder. Ich habe Angst, dass die Leute hier mich nicht mögen und nicht akzeptieren. Dass sie mich vielleicht für einen Dieb halten. Aber letztendlich ist das nicht so wichtig. Ich bin vor allem glücklich, dass ich lebe und in Sicherheit bin. In Syrien hatte ich keine Möglichkeit, mein Leben zu gestalten. Hier weiß ich sehr zu schätzen, was ich habe.”

REFUGEE VOICE ist ein Versuch, die Diskussion um Flucht und die Menschen, die flüchten, menschlicher zu machen und die häufig negative Wahrnehmung zu verändern. Boryana Ivanova möchte mit den Porträts und den persönlichen Geschichten zeigen, dass jeder Mensch seine eigenen Sorgen und Träume hat.
Übersetzung aus dem Englischen: Katja Doubek

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