Grünkohl auf Hessisch

Bei der Zubereitung eines Kohl-Gerichts erzählt die Kuratorin Mahret Ifeoma Kupka von ihren Erfahrungen als Schwarze Deutsche, von der mühsamen Dekolonialisierung deutscher Museen und einer wunderbaren Küche zwischen den Kulturen.

Fotos von Anne Ackermann

Von Bahar Sheikh, 08.02.2019

Foto: Anne AckermannMahret Ifeoma Kupka begrüßt Anne und mich in ihrer Frankfurter Wohnung, wo sie Grünkohl für uns kochen wird. Wir stehen in ihrer geräumigen, hellen Küche. „Grünkohl mit Pinkel ist ein typisch norddeutsches Gericht“, erzählt Mahret. Sie hat zwei Varianten vorbereitet: eine für mich halal mit Kalbfleisch, das sie noch schnell vom türkischen Metzger besorgt hat, die andere mit Würsten. Auf die Schnelle improvisiert sie noch eine vegetarische Abwandlung für Anne, unsere Fotografin. „Das ist Integration“, lacht sie, während sie eine große Zwiebel schneidet.

An der Wand hängt dekorativ das erste Besteck ihrer deutschen Großmutter. Durch die beiden Fenster schaut man in den ruhigen Hof und auf einen Baum, der trotz Winteranfang noch nicht alle Blätter verloren hat. Weil Mahret nicht viel Zeit hatte, gibt es leckeren Grünkohl aus dem Glas. In Hessen sei es zwar gar nicht so einfach, den zu finden, aber für die frische Variante brauche man kofferweise Kohl, von dem nach stundenlangem Kochen wenig übrig bleibt.

Für das Rezept hatte Mahret nochmal ihre Mutter angerufen, die dann auch den Kohl besorgt hat. „Irgendwie lustig, dass meine nigerianische Mutter durch Hessen fährt und Grünkohl vorbeibringt.“ Obwohl Mahret in Hessen aufgewachsen ist und nie in Norddeutschland gelebt hat, gibt es bei ihrer Familie an Weihnachten eigentlich immer Grünkohl. Das liegt daran, dass ihr Vater aus Hamburg kommt und sich die Familie an Weihnachten dort trifft. Ihre Eltern haben auch vor, bald wieder dorthin zu ziehen.

Die Zwiebel ist angebraten, jetzt kommt der Grünkohl mit den unterschiedlichen Fleischvarianten in die Töpfe. „Wir kochen hier gerade ein klassisches Wintergericht, das vor allem nach dem ersten Frost gegessen wird. Dann gibt es den ersten frischen Grünkohl im Jahr.“ erklärt Mahret. Das Kalbfleisch hat sie bereits am Vortag geschmort; es wird zusammen mit dem Kohl in einem Topf gekocht. „Es war ganz einfach, es gestern zu schmoren: auf beiden Seiten anbraten und Gemüsebrühe zugießen.“ Dadurch wird es so zart, dass es wie von selbst vom Knochen fällt. In einem anderen Topf kocht der Grünkohl mit den Würsten. „Ich habe das bisher zweimal gekocht, und es ist beide Male ganz gut geworden“, erzählt Mahret.

Während der Grünkohl und das Fleisch köcheln, kocht sie Kaffee. Wir sprechen über eines der Bücher, das auf einem Stapel auf dem Esstisch liegt. Dort ist einiges aus der postkolonialen und antirassistischen Literatur zu finden: Zwischen Frantz Fanon und Roxane Gay entdecke ich „Freshwater“ von Akwaeke Emezi. „Das Buch ist interessant, weil es einen ungewöhnlichen Blick auf die verschiedenen Persönlichkeiten wirft, die den Kopf der Protagonistin bewohnen, auf Götter aus der Igbo-Mythologie“, sage ich. Sie freue sich darauf, es zu lesen, sagt Mahret. „Meine Mutter ist Igbo, es hat also auch etwas mit meiner Herkunft zu tun. Aber ich kenne mich nicht so gut damit aus, sie hat das nicht so vermittelt.“ Sie wirkt nachdenklich. „Viele Kinder erleben das, dass ihre Eltern, die aus unterschiedlichsten Gründen migriert sind, ihre Kultur an der Landesgrenze abgeben und dann versuchen, in Deutschland deutsch zu sein.“ Oft würde die Kultur den Kindern dann nicht vermittelt. Mahret war das erste Mal mit zwölf in Nigeria. „Das liegt aber auch daran, dass die meisten meiner Verwandten heute gar nicht mehr dort leben, sondern in London.“

Als der Kaffee ausgetrunken ist, sitzen Mahret und ich uns am Küchentisch gegenüber und pellen Kartoffeln, die später angebraten werden sollen. Sie erzählt weiter von ihrer Familie. Ihre Mutter ist in Lagos bei Verwandten aufgewachsen und mit 19 Jahren nach Deutschland gekommen. Sie hat die Schule beendet und bei einer Firma gearbeitet, deren Hauptstandort Hamburg war. Dadurch hat sich für sie auch die Möglichkeit ergeben, in Hamburg eine Ausbildung zu machen. „So ist sie nach Norddeutschland gezogen – und hat im Studentenwohnheim meinen Vater kennengelernt.“ Ob die beiden noch zusammen sind, will die Fotografin wissen. „Es ist ja so selten, dass gemischte Beziehungen so lange halten“, sagt sie.

„Ja, die sind noch zusammen.“ antwortet Mahret. „Es ist aber wirklich selten. Bei vielen ist es eher so, dass die Schwarzen Väter aus verschiedenen Gründen nicht mehr da sind. Als Schwarzes Kind in einem komplett weißen Umfeld aufzuwachsen ist dann nochmal eine ganz andere Erfahrung. Besonders wenn die Kinder keinen Kontakt zu ihrer Schwarzen Familie haben.“ Die Kartoffeln sind fast gepellt, die Küche riecht nach Grünkohl. „Das Nicht-Kennen der Kultur ist schwierig, weil die Zuschreibungen von außen dadurch noch schwerer wiegen. Wenn du dich gar nicht wirklich angesprochen fühlst, hast du auch keine Möglichkeit darauf zu reagieren“, sagt Mahret.  Das Gespräch wirft viele Fragen auf, auf die es keine eindeutigen Antworten gibt: Wie es ist, mit einem weißen und einem Schwarzen Elternteil in Deutschland aufzuwachsen. Ob es leichter sei, als im Land des Schwarzen Elternteils zu leben, wo man aber auch „anders“ wirkt als die anderen Kinder.

„Oh“, Mahret guckt auf die Uhr. „Ich habe vergessen den Wecker zu stellen.“ Sie öffnet die Töpfe. Und, voilá, Grünkohl und Fleisch sind fertig. Jetzt können die Kartoffeln paniert und angebraten werden. Das Essen riecht wunderbar. Mahret entpuppt sich als pragmatische und souveräne Köchin, obwohl sie erzählt, dass sie selten kocht. Neben ihrer Stelle als Kuratorin im Frankfurter Museum Angewandte Kunst und ihrem Engagement als Aktivistin, die gegen Rassismus und koloniale Kontinuitäten anschreibt, bleibt wenig Zeit dafür. Seit sechs Jahren lebt sie in Frankfurt, wo sie sehr gerne wohnt, schon wegen des internationalen Flairs.

Vor kurzem hat sie sich mit dem Werk von Wilhelm Kuhnert befasst, der durch seine Tiermalerei bekannt wurde. „In der Schirn Kunsthalle Frankfurt wurden seine riesigen Gemälde nicht ausreichend in den Kontext der Kolonisierung gestellt.“, sagt Mahret. Zum Beispiel würde nicht deutlich gemacht, wie sehr Kuhnert in das deutsche Kolonialprojekt involviert gewesen ist und, dass er sogar im Maji-Maji-Krieg gekämpft hat. Leute seien eher entsetzt darüber, was mit den Tieren passiert ist – auch Kuhnert war Großwildjäger – und nicht so sehr über den Kolonialismus, der mit seinen weitreichenden Folgen noch immer kaum Teil der deutschen Gedenkkultur ist. Menschen kämen in Kuhnerts Kunst nur als tote oder gehängte Körper vor. Doch Mahrets Kritik an der Ausstellung hat dazu geführt, dass einige Texte das Thema Kolonialismus nachträglich stärker beleuchten.

Für die größtenteils komplett weiße Museumswelt scheint das symptomatisch. Die koloniale Vergangenheit wird erst sehr langsam zum Thema. Aber gibt es noch Hoffnung für die deutschen Museen? Mahret ist vorsichtig optimistisch: „Ganz langsam verändert sich einiges. Und das hat viel mit unserer Generation zu tun, die sich bestimmte Räume jetzt einfach nimmt und nicht mehr akzeptiert, was über Jahrhunderte hinweg Gültigkeit beansprucht hat.“

Unsere Generation nimmt sich, was ihr zusteht. Auch an unseren Essgewohnheiten erkennt man das: Man eignet sich an, was man haben will. Und wenn es auf den ersten Blick nicht zu passen scheint, dann wird es passend gemacht. Wie der norddeutsche Grünkohl, den wir in Mahrets Frankfurter Küche genießen dürfen.

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