Die damals 13-jährige Sania lässt sich vor einem Ausflug die Haare glatt bügeln.
Die damals 13-jährige Sania lässt sich vor einem Ausflug die Haare glatt bügeln.

Duldung

Stefanie Zofia Schulz hat die Bewohner*innen der größten deutschen Aufnahmeeinrichtung für Asylbewerber*innen am Rand der saarländischen Stadt Lebach fotografiert. Ihre Bilder erzählen vom Leben im Stillstand, zwischen Hoffen und Bangen.

Von Maritta Iseler, 11.07.2019

Offiziell sollten Asylbewerber*innen nicht länger als ein Jahr in Aufnahmeeinrichtungen verbringen, bevor sie einer Gemeinde zugewiesen werden. Doch einige bleiben deutlich länger. Besonders Menschen mit dem Status Duldung, deren Abschiebung vorübergehend ausgesetzt ist, können ihr Leben kaum planen. Im Rahmen eines künstlerischen Projekts besuchte Stefanie Zofia Schulz 2012 und 2013 das Aufnahmezentrum Lebach. Die Fotografin richtete ihre Aufmerksamkeit besonders auf Kinder und Jugendliche, die dort aufgewachsen sind. Bei ihren Recherchen im „Lager“ – wie das Zentrum von den Bewohner*innen genannt wird – traf sie auf Menschen, die dort seit fast 14 Jahren leben. Für die meisten Jugendlichen, die sie fotografierte und befragte, ist die Einrichtung zu ihrem Zuhause geworden.

Deine Serie Duldung entstand als Abschlussarbeit an der Ostkreuzschule für Fotografie. Du bist dafür mehrmals nach Lebach gefahren. Wie bist du an die Menschen herangetreten, wie konntest du sie für die Fotoaufnahmen gewinnen?

Zwei Jahre lang bin ich immer wieder nach Lebach gefahren und habe dort längere Zeiträume verbracht. Ich bin ganz offen als Fotografin ins „Lager“ gegangen und anfangs selbst an die Menschen herangetreten. Sehr bald kamen sie dann aber auch auf mich zu – ich war eine Abwechslung in ihrem langweiligen Alltag, der vielfach Stagnation bedeutet. Oft wurde ich auf einen Chai, zum Essen oder auf eine Geburtstagsparty eingeladen und konnte so auch mit der Kamera dabei sein. Ich hatte immer gelatinefreie Süßigkeiten dabei, als Gastgeschenk, falls ich zum Essen eingeladen wurde. Ich habe dann schnell herausgefunden, an welchen Familien ich interessiert bin. Sie haben mich in ihr Leben hineingelassen, und ab da wurde es für meine Bilder interessant; als sie mir ihre Sorgen, Hoffnungen und Ängste offen mitteilten, entstand eine tiefere Ebene. Konkrete Ängste sieht man auf den Bildern zwar nicht, aber man erlebt diese ganz besonderen Momente. Die konnte ich nur einfangen, weil ich viel Zeit mit den Menschen vor Ort verbracht habe.

Du bist selbst in einem Spätaussiedlerheim aufgewachsen. Gab es Situationen, die dich an deine Jugend erinnert haben?

Meine Eltern kamen in den späten 1980er-Jahren nach Deutschland, damals herrschte eine ganz andere Willkommenskultur. Bereits nach zwei oder drei Jahren konnten wir in unsere eigene Wohnung in Freiburg am Breisgau ziehen. Wir bekamen viel Unterstützung von den Deutschen. Aber in der Nähe der Stadt gab es ein Asylbewerberheim, unter anderem für Roma und Sinti, da sind meine Brüder und ich immer zum Spielen hin. In meiner Erinnerung waren das dunkle Holzbaracken, ganz schlimm. Daran hat mich das „Lager“ erinnert, das war meine Motivation, meine Abschlussarbeit darüber zu machen. Spätaussiedler*innen wie wir wurden damals mit offenen Armen empfangen.

Wie bewertest du die Situation heute in Lebach, das seit mehr als einem halben Jahr ein „AnkER-Zentrum“ ist?

Letztes Jahr war ich nicht dort, aber davor ab und zu noch mal. „AnkER-Zentrum“ ist meiner Meinung nach einfach ein anderer und kürzerer Name für die Landesaufnahmestelle Lebach für Asylsuchende (damals war die offizielle Abkürzung „Last“). Dort haben die Ämter schon immer zusammengearbeitet, nur das Jugendamt kam dazu. Die Menschen wurden und werden dort zentral aufgenommen, es finden Antragstellungen und Abschiebungen statt oder Weiterleitungen in die Kommune.

Für Menschen in den Aufnahmeeinrichtungen ist vor allem der Status Duldung ein Problem. Es wird in Deutschland kaum über sie gesprochen, es geht meistens nur um Neuankömmlinge. Dabei gibt es Familien, die seit über 10 oder 15 Jahren in Deutschland leben. Sie arbeiten, verdienen Geld, zahlen ihre Miete und könnten doch am nächsten Tag abgeschoben werden. Im April 2019 lebten rund 184.000 Menschen in Deutschland mit einem Duldungsstatus. Sie werden in der Regel nicht auf die Kommunen verteilt, sondern bleiben in den Heimen. Selbst wenn sie in die Kommunen dürfen, ist immer noch alles ungewiss. Auch mit dem neuen Einwanderungsgesetz werden Geduldete leider wieder übergangen. Das ist die Abschiebepraxis der CDU, die haben einfach Angst davor, den Geduldeten Aufenthalt zu gewähren, weil dann andere nachziehen könnten. Dabei könnte man allen, die, sagen wir mal, vor 2016 angekommen sind, Arbeit haben und integriert sind, eine tatsächliche Chance auf Aufenthalt bieten.

Konntest du das Leben deiner Protagonist*innen weiterverfolgen und weißt du, ob sich ihre Hoffnungen erfüllt haben?

Zu den meisten habe ich inzwischen keinen Kontakt mehr, aber zu meinen Hauptprotagonist*innen schon. Ihre Hoffnungen haben sich nur teilweise erfüllt: Sie durften alle eigene Wohnungen beziehen und aus der Enge des Heimes raus, haben aber immer noch den Duldungsstatus. Die Eltern arbeiten, die Kinder können Deutsch und machen teilweise schon ihre Schulabschlüsse. Manche haben geheiratet, damit sind sie aus dem Schneider, aber bei vielen bleibt es ungewiss. Mit einem Duldungsstatus ist es schwierig, eine Ausbildung zu finden, einige Mädchen sind auch Mütter geworden, um aus dem Elternhaus rauszukommen. Fast keine*r kennt die Heimatländer der Eltern, das Leben in Deutschland ist für die jungen Menschen ambivalent. Sie fühlen sich einerseits als Ausländer*innen, auch weil sie „nur“ geduldet sind, andererseits haben sie deutsche Freund*innen und Kontakte und möchten dazugehören. Aber wenn man diese zwei Kulturen als Bereicherung ansieht, dann ist das eine Chance.

 

Stefanie Zofia Schulz wurde 1987 in Deutschland, in einer baden-württembergischen Wohnsiedlung für Migrant*innen auf der Flucht aus Russland und Polen, geboren. Sie absolvierte 2010-2013 die Ostkreuzschule für Fotografie in Berlin. Duldung war ihre Abschlussarbeit, die sie mehrfach auf Festivals und bei Ausstellungen präsentierte. Ihre fotografische Praxis konzentriert sich auf die Dokumentation wichtiger sozialer und gesellschaftlicher Fragen. Heute arbeitet sie als freie Fotografin.

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