Die vielen Farben des Chana Masalas

Manik Chander und Melisa Manrique sind die Autorinnen von Mama Superstar. Beim gemeinsamen Kochen eines Currys aus Punjab berichten sie über die Entstehung des Buchs und warum sie finden, dass die Leistungen von migrantischen Müttern in Deutschland mehr gewürdigt werden sollten.

Fotos von Lia Darjes

Von Cosima M. Grohmann, 10.10.2019

Dass mein Treffen mit den Autorinnen Melisa Manrique und Manik Chander ein Feuerwerk an Freundlichkeit und Hinwendung werden würde, hätte mir eigentlich schon beim Empfang klar sein müssen. Im fünften Stock eines Altbaus in Berlin-Prenzlauer Berg begrüßt mich ein vor Begeisterung wild mit dem Schwanz wedelnder Golden Retriever. Spätestens als ich in die lichte Wohnung von Melisa und ihrem Mann Philipp trete und Manik mir freudestrahlend entgegenkommt, ist klar: Hier haben Menschen zusammengefunden, die vor positiver Lebensenergie nur so strotzen.

Melisa und Manik sind die Autorinnen des Buchs Mama Superstar, das die Migrationsgeschichten von elf Müttern erzählt, von denen die meisten in den Achtzigerjahren nach Deutschland kamen und ihre Kinder entweder mitnahmen oder in Deutschland zur Welt brachten. Ihre Wege nach Deutschland, das Zurechtfinden im neuen Land und in der neuen Kultur werden auf Grundlage von Interviews geschildert. Es wird davon erzählt, wie sie in der neuen Heimat Weihnachten feierten oder Fischstäbchen und Nutella auf den Speiseplan brachten, die zur neuen Umgebung dazuzugehören schienen. Am Ende eines jeden Kapitels steht ein landestypisches Rezept, welches die Migrant Mamas aus ihren Heimatländern mitgebracht haben. Denn das Kochen ist für die meisten von ihnen noch immer die signifikanteste Brücke in die Heimat.

Bevor wir überhaupt dazukommen, uns über das Kichererbsencurry auszutauschen, das wir heute zusammen kochen wollen, sitzen wir schon wie alte Freundinnen schnatternd am Essenstisch und tauschen Neuigkeiten aus: Melisa, deren Mutter aus Peru kommt und mit ihren drei Töchtern Anfang der Achtziger nach Italien migrierte, ist gerade Mutter geworden und somit Migrant Kid und Mama zugleich. Am Abend zuvor war sie zusammen mit ihrer Tochter Mia, Philipp und Manik auf der Verleihung des Smart Hero Awards der Stiftung Digitale Chancen, wo sie den zweiten Platz in der Kategorie Vielfalt und Chancengleichheit belegt haben.

Manik, deren Mutter aus einem Dorf im indischen Punjab kommt, und die ihre Heimat Ende der Achtzigerjahre für eine arrangierte Ehe mit einem bei Frankfurt lebenden Inder verließ, ist die lebhaftere der beiden. Hinter einer goldenen Rundglasbrille blitzen ihre wachen Augen hervor, im wohlüberlegten Plauderton erzählt sie von ihrem Projekt Migrant Mamas, bis die Fotografin Lia vorsichtig dazwischenfragt, ob wir eventuell mal mit dem Kochen des Currys anfangen könnten.

Da sind bereits die ersten anderthalb Stunden vergangen und wir sind immer noch beim Buchprojekt. Melisas Mann – Verlagsinhaber, Marketingberater und Social-Media-Manager in Personalunion – erzählt, wie er die Geburt von Mama Superstar von Anfang an begleitet hat. „Die ersten Anläufe verliefen schleppend“, berichtet er, „als Verlag mussten wir das Projekt sogar zwischenzeitlich absagen, weil sowohl Konzept als auch Titel bei einer vorläufigen Testphase zu schlecht abschnitten, um das Buch gut vermarkten zu können. Das war für alle hart.“ Ab da schraubten die beiden Frauen, die sich 2014 in Mumbai bei einem Austauschsemester kennengelernt hatten, auf eigenem Risiko weiter an ihrer Idee. „Uns war einfach so wichtig, dass dieser in Deutschland negativ besetzte Begriff ,Migrant‘ eine positive Konnotation erhält“, sagt Manik. „Auf Englisch und in Kombination mit dem Wort ,Mama‘ wirkt der Ausdruck gleich viel weicher.“ „Ich habe mich immer gefragt, was denn nun eigentlich das Besondere an den migrantischen Müttern sein sollte, schließlich haben viele deutsche Mütter auch gearbeitet und gleichzeitig Kinder aufgezogen“, sagt Philipp. Dass aber „die migrantischen Mütter gesellschaftlich und beruflich bei minus zwei statt bei null anfangen, um am Ende vielleicht wie die deutschen bei plus zwei zu landen“, wurde ihm erst so richtig klar, als der lang ersehnte Durchbruch des Buchs kam und mit ihm die vielen positiven Zuschriften und wertschätzenden Kritiken.

Während Philipp und Melisa abwechselnd erzählen, hat Manik die vielen Gewürze für das Chana Masala dekorativ auf einem Holzbrett drapiert. Darunter finden sich Kurkuma, Garam Masala, Koriander, eine Zimtstange und natürlich Curry. Außerdem gehören noch ein Lorbeerblatt, Kardamomkapseln, frischer Ingwer und rote Zwiebeln dazu. Die beiden letzteren Zutaten isst man in Indien laut Manik roh zum Gericht dazu.

Wir gehen in die kleine Küche, wo Manik anfängt, die Gewürze mit sechs Esslöffeln Olivenöl in einem Topf zu erhitzen, und erzählt, dass sie kürzlich bei einer Familienfeier den Reis nach Strich und Faden verhauen hat, dafür aber ein hochgelobtes Curry auf den Tisch zauberte. „Reis ist bei uns wie eine Religion“, sagt sie. „Als ich meine Mutter einmal bat, den Wildreis zuzubereiten, den ich bei einer Freundin gegessen hatte, antwortete sie ruhig, aber resolut: ,Bei uns wird Basmatireis gegessen, Manik. Und zwar nur Basmatireis.‘“

Melisa hat derweil auf einem kleinen Holzschemel neben uns Platz genommen, und ich frage sie, ob sie mir etwas zur politischen Lage Italiens und der Fünf-Sterne-Bewegung sagen könnte. Schließlich hat sie die meiste Zeit ihres Lebens in Rom verbracht und kam erst nach einjährigem Zwischenstopp in London vor fünf Jahren in Berlin an. „Die verwirrende Politik in Italien ist der Grund, warum ich Politikwissenschaften studiert habe“, erzählt Melisa. Sie wollte endlich verstehen, warum das Land so oft zwischen den extremen politischen Strömungen hin- und herschwankt und Korruption und Vetternwirtschaft immer noch zum Alltag gehören. Während Manik heute an der Hochschule RheinMain hauptberuflich ein Sprachprogramm für Flüchtlinge leitet, arbeitet Melisa ausschließlich für das Projekt Migrant Mamas. Denn mit dem Erfolg des Buchs wollen die beiden sich nicht zufriedengeben. Sie planen, eine Bewegung zu etablieren, die migrantischen Müttern und ihren Familien mehr Aufmerksamkeit und Respekt zollt. Die Möglichkeit zum Empowerment für Migrant*innen ist auch der Grund, warum das Buch auf einem Sprachniveau von C1 geschrieben ist – Nichtmuttersprachler*innen sollen Mama Superstar ebenfalls mühelos lesen können.

Bei all den spannenden Geschichten vergesse ich immer wieder, mich auf das Kochen zu konzentrieren. Dabei brutzelt das Kichererbsencurry schon kräftig vor sich hin und verströmt einen köstlichen Geruch. Zu meinem Erstaunen packt Manik jetzt zwei Teebeutel mit Schwarztee aus und hängt sie in den Kochtopf. „In Indien kocht man nach Farbe“, erklärt sie. „Das Curry muss einen ganz bestimmten gelb-orangen Ton haben, dann ist es gut.“ Hintergrund dieser Kochweise ist die Reinlichkeit der Hindus. Damit keine Spucke beim Probieren des Essens in das Gericht kommt, orientieren sich Köch*innen nur nach der Farbe der zubereiteten Mahlzeit.

Als wir uns schließlich zum Essen setzen, sind drei Stunden vergangen. Zum Abschluss verraten mir die beiden noch ihren geheimen Wunschtitel für das Buch, der aus einem spielerischen Wettstreit entstanden ist: „Wir haben uns gegenseitig Dinge aufgezählt, die unsere eigene Mutter besser kann als die der anderen. Der Slogan ‚My migrant Mama is better than yours‘ war geboren und damit auch die Idee des Buchs.“ Irgendetwas haben die Mütter dieser beiden wundervollen Frauen verdammt richtig gemacht, denke ich, als ich begleitet von einem schwanzwedelnden Hund die fünf Stockwerke wieder hinuntergehe – ich würde sie zu gern einmal kennenlernen.

 

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