„Als wir kleine Mädchen waren ... spielten wir alle zusammen und hatten ein Haus voller Spielzeug. (...) In der Türkei gibt es nichts anderes als Sorgen.“ Eye (hinten) wünscht sich nichts als Frieden, um mit ihrer Familie nach Hause zurück kehren zu können. Foto: Emine Akdaba
„Als wir kleine Mädchen waren … spielten wir alle zusammen und hatten ein Haus voller Spielzeug. (…) In der Türkei gibt es nichts anderes als Sorgen.“ Eye (hinten) wünscht sich nichts als Frieden, um mit ihrer Familie nach Hause zurück kehren zu können. Foto: Emine Akdaba

Beyond Dreams and Hopes

Die einfühlsame Fotoreportage von Emine Akbaba zeigt auf einer persönlichen Ebene die Folgen des Krieges für eine syrische Familie im Exil.

Von Maritta Iseler, 21.11.2019
Deine Serie „Beyond Dreams and Hope“ zeigt eine Mutter mit ihren vier Töchtern aus Syrien, die jetzt in der Türkei in Sicherheit leben. Der Vater wurde getötet und sie sind von den Kriegs- und Fluchterlebnissen traumatisiert. Wie bist du auf diese Familie gekommen?

Im August 2014 bin ich nach Mardin gereist. Die Stadt liegt in Südostanatolien, rund dreißig Kilometer nördlich der Grenze zu Syrien. Ich habe den Konflikt in Syrien in den türkischen Nachrichten verfolgt, da in Europa nur sehr wenig darüber berichtet wurde. Und ich selbst hatte das Bedürfnis, eine persönliche Geschichte zu zeigen. Schon 2011 war ich für einige Tage in Mardin gewesen. Damals hatte ich eine Frau kennengelernt, die in einer kleinen Boutique in der Altstadt handgemachte Arbeiten verkaufte. Ich ging gleich nach meiner Ankunft zu ihr, und sie stellte mir einen Mann vor, der die Familie kannte und mich zu ihr brachte. Ich kann mich noch genau daran erinnern, dass es langsam anfing zu dämmern, als wir am Haus der Familie ankamen, und wie der Klang vom Klopfen auf die Metalltür in der ruhigen, schmalen Straße nachhallte. Die Mutter, Turkiye, öffnete die Tür und war einverstanden, dass ich am nächsten Tag mit ihr sprechen würde. Einige Tage danach bin ich quasi eingezogen.

Turkiyes Tocher Eye leidet besonders unter dem, was sie gesehen hat. Wie hast du den Alltag der Familie erlebt, haben sie etwas, was ihnen Hoffnung gibt?

Turkiye ist die Flucht mit ihren vier Töchtern gelungen. Aber danach mussten sie sich mit ihren Erlebnissen und seelischen Wunden auseinandersetzen und ums Überleben kämpfen. Sie haben ihr friedliches, geregeltes und schönes Leben, das sie vor dem Krieg und all den schrecklichen Erfahrungen hatten, hinter sich gelassen. Am meisten hat es die damals 14-jährige Eye getroffen. Sie wird von Albträumen geplagt, aber sie weigert sich, über ihre Träume zu sprechen. Die Angst sei zu groß, dass die Träume dadurch zurückkehren und noch schlimmer werden könnten. Zwei Wochen habe ich mit der Familie zusammengelebt, mit ihnen den Alltag verbracht, mit den Töchtern auf dem Boden geschlafen. Sie gingen sehr selten nach draußen, und es herrschte immer eine bedrückte Stimmung zu Hause. Die Hoffnung, dass der Konflikt endet und sie in ihre Heimat zurückkehren können, war anfangs noch zu spüren. Nach und nach nahm aber auch das ab.
Als ich Eye fragte, was sie sich vor dem Krieg vom Leben erträumt hatte, antwortete sie, dass sie Ärztin hätte werden wollen. Aber nun sei nichts mehr zum Hoffen geblieben. Sehr oft saß sie abseits, sprach mit niemandem und wirkte in sich gekehrt. Für die Mädchen aus meiner Fotoreportage endete mit dem Krieg die Kindheit. Die Familie lebt immer noch im Krieg, auch außerhalb Syriens – wie Gefangene in ihrem Haus, ohne Aussicht auf Erlösung.

Deine Serie zeigt viel Einfühlsamkeit. Du hast damit den Fotowettbewerb des Münzenbergforums gewonnen, in der Jury-Begründung hieß es: „Emines Fotoreportage zeigt auf einer sehr persönlichen Ebene die Auswirkungen des Krieges und einer gescheiterten europäischen Flüchtlingspolitik.“ Wie schaffst du es, so dicht an die Leute ranzukommen?

Mir ist es sehr wichtig, den Menschen das Gefühl zu geben, dass sie und ihre Erlebnisse für mich bedeutsam sind. Ich versuche viel Zeit mit ihnen zu verbringen und rede offen darüber, warum ich sie fotografieren möchte und was danach mit den Fotos passiert. Um einen persönlichen Zugang und Vertrauen zu bekommen, muss man auch von sich erzählen. Ich muss die Möglichkeit schaffen, auch mich kennenzulernen. Und das passiert nicht, wenn ich nur einige Stunden mit den Menschen verbringe und sie auf das Foto reduziere. Der Fotograf Nadav Kader ist davon überzeugt, dass, wenn wir uns darauf konzentrieren, warum wir etwas fotografieren wollen, sich das auch in unseren Bildern widerspiegelt. Für mich ist es ein Privileg, die Geschichten anderer Menschen erzählen zu dürfen – wenn ich auch nur für eine kurze Zeit Teil ihres Lebens werde.

Du hast die Serie 2014/15 fotografiert. Hast du noch Kontakt zu der Familie, wie geht es ihnen heute?

Ich habe sie im August 2014 kennengelernt. Während der zwei Wochen mit ihnen sind Fotos und ein kurzer Dokumentarfilm entstanden. Damals war die älteste Tochter Ruba erst seit Kurzem verheiratet. Da ich mich mit zwei jungen Frauen aus der Nachbarschaft der Familie angefreundet habe und nach meiner Rückkehr nach Deutschland den Kontakt hielt, wusste ich, dass nun auch Fatma, die zweitälteste Tochter, heiraten würde.
Im Mai 2015 habe ich die Familie wieder besucht und wollte eigentlich zur Hochzeit von Fatma bleiben. Aber da die Braut zu dem Zeitpunkt nicht volljährig war und die Hochzeit nicht rechtlich durchgeführt wurde, bekam die Familie des Bräutigams Angst. Sie wollten mich nicht dabeihaben, wollten auch nicht, dass ich weiter bei ihnen wohne und sie fotografiere. Der Bräutigam wollte sogar, dass ich die bereits aufgenommenen Fotos lösche. Nach fünf Tagen bin ich wieder abgereist, seitdem habe ich leider keinen Kontakt mehr. Anfangs haben mich die jungen Frauen noch informiert, aber das hat mit der Zeit abgenommen, da sie aus der Altstadt wegzogen. Für mein derzeitiges Projekt über die prekäre Situation türkischer Frauen bin ich vor Kurzem für drei Wochen entlang der syrischen Grenze gereist. Die Reise endete in Mardin. Ich bin zur Wohnung der Familie gefahren, konnte jedoch niemanden finden.

Du setzt dich in deinen Bildthemen unter anderem mit Gewalt gegen Frauen im Nahen Osten auseinander, reist viel und zeigst auch einen individuellen Blick auf migrantisches Leben in Deutschland. Wie schaffst du es, dabei eine stereotype und plakative Bildsprache zu vermeiden?

Als Fotografin bin ich stark von den Erlebnissen meiner Mutter beeinflusst, die in jungen Jahren ihr Leben in der Türkei aufgeben musste und nach Deutschland kam. Sie wurde damals ihrem Schicksal überlassen. Als Ausgleich möchte ich deswegen die Geschichten von Frauen in der Türkei und im Nahen Osten erzählen. Da ich türkische Wurzeln habe und mich mit den Sitten und Gebräuchen auskenne, fühle ich mich dort heimisch. Meine zahlreichen Reisen haben das verstärkt und haben mir einen ganz anderen Zugang zu den Menschen ermöglicht. Ich bin Teil dieser Gesellschaft und kann dennoch mit individuellem Blick über sie berichten – ohne Klischees und Stereotype.

Emine Akbaba. Foto: privat

Emine Akbaba ist freie Fotografin und Dokumentarfilmerin. Sie berichtet über Frauenrechte im Nahen Osten. Ihre Projekte wurden national und international ausgestellt, publiziert und ausgezeichnet – unter anderem mit dem Nikon Photo Award 2014/2015, dem Medienkunstpreis 2015 und mit dem „Alles in schönster Ordnung“-Fotopreis.

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